Erik

Erik Z., 52
Seit über zwei Jahren Long Covid & ME/CFS,
vormals Wissenschaftskommunikator
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Auch nach 2 Jahren Post Covid und ME/CFS fällt es mir regelmäßig schwer zu akzeptieren, dass ich momentan nur noch einen Bruchteil von meinem alten Leben leisten kann. Ich hoffe inständig, irgendwann wieder Tauchen zu können!

Das letzte Festival

Meinen letzten unbeschwerten und gesunden Tag erlebte ich Mittwoch, den 15. Juni 2022. Tagsüber beim Arbeiten fühlte ich mich zwar etwas müde, aber war abends dann noch Billiard Spielen mit meinem guten Freund A. Am nächsten Tag war alles anders, mein bisheriges Leben vorbei – was ich damals natürlich noch nicht ahnen konnte.

Am Wochenende zuvor war ich noch auf einem kleinen Festival an der Ostsee gewesen, dort gab es schöne Sanitäranlagen, und die Maskenzeit war vermeintlich vorbei. Höchstwahrscheinlich habe ich mich dort angesteckt, beim Schlangestehen in engen Sanitäranlagen.

Am Donnerstag wachte ich auf, fühlte mich etwas komisch und vermutete sofort, dass ich Corona habe, keine Ahnung wieso. Zeigte der erste Schnelltest morgens noch nur einen äußerst blassen Strich, war mittags dann schon ein klares Rot zu sehen. Seitdem halten das Virus und seine Folgen mich gefangen, und ein neues, schwaches Leben ist die Folge.

Von diesem Verlust des alten Lebens, und der schwierigen Gewöhnung an mein neues Leben möchte ich hier erzählen. In der Hoffnung, dass es Dir als Lesenden hilft, das Phänomen Long Covid sowie den neuen Erik besser zu verstehen.

„Warum?“ höre ich die Frage, „was soll das bringen?“. Meine zentrale Motivation ist sicherlich die ganz banale Bewältigung. Der Verlust, mein Leben so zu leben wie ich will, war und ist phasenweise immer noch traumatisch und es ist manchmal schwer, nicht die Hoffnung zu verlieren. Davon erzählen hilft, und da es ein chronisches Problem ist besteht auch kontinuierlich Bedarf nach Reden, Verarbeiten. Durch den Verlust des vorherigen Lebens gehen auch viele soziale Kontakte verloren, die Einsamkeit droht. Nicht gehört zu werden belastet daher zusätzlich in dieser schweren Zeit. Und mit dieser Seite kann ich Leuten einen Link schicken, dann können sie bei Interesse mehr erfahren, und ich habe nicht die Mühe immer alle von Vorne zu erzählen.

Bei meiner Auseinandersetzung mit dem neuen Leben hat mir die Selbsthilfegruppenarbeit, der Austausch mit anderen Betroffenen sehr geholfen. Und das ist meine andere Motivation: In den Selbsthilfegruppen treffen sich naturgemäß Menschen, die teilweise schwer betroffen sind, komplett aus ihrem Leben geworfen wurden, manchmal ans Bett gebunden sind. Die Wenigsten von ihnen haben die Kraft, ihrer Umwelt von der Tiefe des Verlusts zu erzählen, wie schwer es ist die Hoffnung zu bewahren, und wie tief uns Ignoranz oder gar aktive Verneinung unserer Krankheit treffen.

Mit dem Projekt Stimmen aus dem Off möchte ich uns allen eine Stimme verleihen. 

Und schließlich ist es mir ein Anliegen, dass eventuell auch eine Form von Aufklärung mit Hilfe der Stimmen geschieht. Das ist eher ein hoffnungsvolles Potenzial als ein konkrete Hoffnung, aber wer weiß…?

Denn neben dem direkten Umfeld müssen gerade Ärzt*innen und andere Heilberufler*innen dringend aufgeklärt werden. Was ich an Horrorstories in den Selbsthilfegruppen höre! Mir sind die großen Klopper erspart geblieben, bis auf eine Ärztin in der Reha (s.u.) und eine Hausarztpraxis die ich wechseln musste, ging bei mir alles recht glatt. Und vor allem hatte ich keine Probleme mit den Behörden! Auch hier sehe ich viel Aufklärungspotenzial, die ganzen Sach- und Fallbearbeiter*innen für Pflege, Rente, Arbeit etc. – in der Realität sind das auch „Entscheidungsträger*innen“, da sie ganz alltäglich mit kleinen Entscheidungen Leben nachhaltig beeinträchtigen können. Es sind eben nicht nur Menschen in Politik und Wirtschaft die wir aufklären müssen, auch der ganze „Verwaltungsapparat“ übt erhebliche Macht aus – und als chronisch Kranker bin ich nun leider deutlich abhängiger vom „System“ als zuvor.

Vom langen Verlauf zum Reha-Antrag

Zu Beginn der Infektion war alles ganz harmlos, eine mittelschwere Erkältung mit ein wenig Fieber, ich habe nur einige wenige Ibuprofen nehmen müssen, 1-2 Nächte zu Beginn. 13 Tage lang war ich positiv, bis dahin alles vermeintlich harmlos, auch wenn weiterhin öfter mal meine Temperatur ein Grad höher war, eine Schwäche blieb und die Verdauung manchmal zickte. Kinderfasching, dachte ich mir. Das erste Mal wurde ich etwas bedenklich, als ich 4 Wochen später meinen 50. Geburtstag feierte. Statt großer Party saß ich im Campingstuhl ein paar Stunden im Park mit Freunden und fühlte mich recht verwegen, ein ganzes Radler zu trinken!

So langsam könnte sich das doch bessern…

In der Folge aber wurde es nicht besser. Die leichte Temperatur war weiterhin regelmäßig da, und es ging mir teilweise auch schlechter: die Konzentration ließ nach, Lesen und Filme sehen wurde ermüdend, dabei brannten und tränten die Augen.

Und einfach Alles. Wurde. Immer. Anstrengender!

Die Standardtests Lungenfunktion und Langzeit EKG hatte ich erhalten und ohne Befund, aber auch nur weil ich genervt hatte und mich selber kümmerte. Mehr gab es nicht an Diagnostik, was wahrscheinlich auch ok so war, es ist verlockend immer weiter zu suchen. Dazu später noch mehr.

Aber gut, Erholung nach viralen Infekten kann dauern, sagte mir z.B. auch Professor Jelinek vom BCRT im Spätsommer 2022, einige Monate nach meiner Infektion. „Channeln Sie für den Rest des Jahres eine Oma auf der Couch, gönnen Sie sich Ruhe!“ war seine Empfehlung. „Ende des Jahres, noch mehrere Monate, so lange!“ dachte ich mir damals noch.

Oh süße Unschuld…

Bis zum ersten Arbeitsversuch hatte ich als Symptome unregelmäßig Magen-Darm Probleme, immer mal wieder das eine Grad Temperatur mehr, die dauernde Erschöpfung, tränende und brennende Augen sowie den etwas „doofen Kopp“. Halt noch nicht vollends genesen, nichts Wildes, richtig? Dann kam der erste Versuch der Wiedereingliederung im Oktober 2022, arbeiten mit wenigen Stunden und weiterhin mit Krankengeld, eine tolle Möglichkeit die unser System da anbietet. Das ging zwei Wochen gut, dann kam ein ordentlicher Crash. Wahrscheinlich war es die aufsummierte Anstrengung die zu viel war, genaue Auslöser sind nicht immer zu identifizieren. Danach war ich erst mal wieder arbeitsunfähig.

Ein weiterer Arbeitsversuch Anfang 2023 endete dann erneut mit einem diesmal richtigen Crash, und die Erholung danach war zäh. Da ich Ende 2022 einen Antrag auf stationäre Rehabilitation gestellt und einen Platz für Mitte Mai 2023 erhalten hatte, beschlossen meine Ärztin und ich nach dem zweiten misslungenen Arbeitsversuch, dass ich bis zur Reha nicht mehr arbeiten würde. Sondern mich maximal erholen, um dann in der Reha weiter zu fit werden. Für den Reha-Antrag musste ich die Hausarzt-Praxis wechseln, die Ärztin in der alten Praxis unterstützte den Reha-Antrag nicht, „Sie haben ja noch keine Therapien gemacht, dann bringt das auch nichts“. Auf meine Frage, wer mir denn diese fehlenden Therapien verordnen würde wurde sie ausweichend…

Anfang 2023 wurde ich dann auf Aufforderung durch die Krankenkasse auch einmal beim medizinischen Dienst vorstellig. Da ging es mir gerade gut, die Reha war bewilligt, der zweite Arbeitsversuch stand noch an, und ich hatte weiterhin die Hoffnung auf Besserung in der Reha. Diese Einschätzung teilte der medizinische Dienst, dort war also alles soweit gut. Schließlich war ich noch bei der Physikalischen Medizin an der Charité, in die Fatigue Ambulanz bei Prof. Scheibenbogen kam ich wegen unpassender Symptome nicht rein. Die Physikalische Medizin war sehr gut (siehe Netzwerke), erweiterte Lungenfunktion, 6-Minuten Gehtest, Handkraft etc. als Diagnostik und ein ausführliches Gespräch, zwei Termine.

Das Ergebnis dann die „offizielle“ Bestätigung: Ja, ich habe Long (Post) Covid…

Die Neurologische Rehabilitation

So brach ich also Mitte Mai 2023 zur Reha auf, relativ guter Dinge und hoffnungsvoll, dass ich dann im Herbst 2023 langsam wieder in die Arbeit zurückkehren könnte. Was mir noch wichtiger als sonst war, da ich gerade mal drei Monate vor meiner Erkrankung eine neue spannende Stelle in der Meeresforschung angetreten hatte. Als neuer und kranker Kollege kam ich mir noch doofer vor als wenn mensch mal länger ausfällt. Wobei mein damals neuer Arbeitgeber (die DAM Deutsche Allianz Meeresforschung) maximal entegenkommend war und mich in jeder Hinsicht unterstützt hat. Auch hier hatte ich Glück im Unglück.

In der Reha kam dann das böse Erwachen: Nach vier Tagen der erste Crash. Am zweiten Wochenende der zweite, schwere Crash mit psychologischer Krise, und am nächsten Wochenende noch einer. Im zweiten Crash kam die Licht- und Lärmempfindlichkeit neu dazu, die mich seitdem begleitet.

Ausgelöst wurde meine mentale Krise, der Schock wie krank ich bin (was ich bis dahin wohl erfolgreich verdrängt hatte), durch eine sehr nette und kompetente Kunsttherapeutin (bei der ich leider nur zu Beginn einmal war). Sie fragte mich einfach und mitfühlend, ob ich denn schon mal getrauert hätte. Daraufhin weinte ich erst mal eine Viertelstunde, der Damm war gebrochen. In Folge hatte ich gerade bei Crashs dann auch mit massiver Angst, Trauer und Wut zu kämpfen, musste sehr viel weinen, was zu Beginn zwar sehr entlastend war, aber irgendwann auch einfach anstrengend wird. Und so dann einen Crash weiter verstärken kann, was mich weiter verzweifeln ließ, was wieder zu Weinen führt und so weiter.

Schon in den ersten einfachen neurologischen Tests am Bildschirm war meine Leistung schlecht. So rischte schlecht, nicht mal im unteren normalen Durchschnitt. Und ich bin Bildschirmarbeiter, zocke auch mal am Rechner – will sagen, Bildschirm kann und mag ich! Bis dahin zumindest… (Auch diese Webseite hat mich viel Zeit gekostet, ich habe sie über Monate bauen lassen und mit Inhalt befüllt. An guten Tagen dann so ein bis zwei Stunden am Bildschirm, bevor der Kopf dick wird, die Augen schmerzen und wieder Bett angesagt ist.)

Zum Ende ging es dann in der Reha etwas besser, nicht zuletzt weil ich dauernd mit Ohrenstöpseln und Sonnenbrille rumlief, alleine beim Essen saß und mich sehr stark vor dem ganzen Trubel und belastenden Programmpunkten schützte. Aber in dieser Zeit wurde mir klar (gemacht): ich bin richtig krank, ich habe massive neurologische Probleme, an Arbeit ist erst mal nicht zu denken. Und mir wird vorerst die volle Erwerbsminderungsrente (ehemals Erwerbsunfähigkeit, EU) empfohlen.

Holy fuck!

Was aber war so schlimm in der Reha, und ist Reha für alle Long Covid-Betroffenen gefährlich?

Der erste Teil der Frage lässt sich für mich grob vereinfachen auf
1) es war in der Summe zu viel Aktivität und Input (ich wohne alleine) sowie
2) zusätzlich eine mentale Krise als ich erkannte wie krank ich wirklich bin, die mich dann wieder stark gecrasht hat, körperlich.

Zur zweiten Frage „Ist Reha für alle Long Covid-Betroffenen gefährlich?“:
Es setzt sich, leider noch langsam, die Erkenntnis durch, dass für Long Covid mit Symptomen von ME/CFS das Reha-Konzept komplett anders gedacht werden muss. Leider wehren sich noch viele, oft männliche Psychosomatik Epxperten, dagegen und praktizieren weiterhin Aktivierung statt Pacing. Mehr dazu z.B. hier und hier. Und jetzt auch auf der eigenen Seite zu Reha (im Aufbau).

Meine Reha war an der Neurologie angesiedelt, GLG Fachklinik Wolletzsee. Ich kopiere hier mal meine Google-Maps Bewertung, die ist aussagekräftig:

Schöne Klinik in genialer Lage, See und Wald. Long / Post Covid ist prinzipiell verstanden, wenn auch leider das Programm nur sehr mäßig darauf ausgerichtet ist. Oftmals keinerlei Pausen zwischen den Anwendungen, einige Tage vollgepackt, andere Tage leer. Absolut notwendige Anwendungen (Entspannung, Atemtherapie, Einzeltermine) nur sehr sehr spärlich, dafür viel Sport (Schwimmen, Ergometer, Spazieren/Wandern) der in Crash/PEM kaum wahrgenommen werden konnte. Bis auf 2 Gruppenrunden kein spezielles Long/Post Covid Programm. Sehr guter Psychologe!

 

Lange Wege (für unfitte Menschen) zum Essen (tägl. in Summe rund 2 km), sehr lauter Raum zum Essen, massive Reizbelastung. Zimmer zum Hof ebenfalls sehr laut, bei Reizempfindlichkeit bei Anmeldung evtl. im Vorfeld versuchen Zimmer nach außen zu erhalten. Völlig inkompetente Ärztin, die beim Reden auf den Bildschirm blickt und am PC tippt, keinerlei Kontakt aufbauen kann / will sowie implizit und explizit eigene Schuld an der Situation vorwirft, und schließlich bei mentaler Krise keinerlei Empathie o Unterstützung zeigt. Die zweite, junge Ärztin im 2. Stock hat dieses Totalversagen in Krise aufgefangen, auch wenn sie eigentlich nicht zuständig war. Der Chefarzt ist super und hat die Situation halbwegs gerettet.

Habe Post Covid ein Jahr, bin halbwegs fit hin und total kaputt raus. Es gab keinerlei Abschlussempfehlung bis auf Psychotherapie, keine Rentenberatung, ich bin völlig alleine gelassen worden zur Entlassung – wie weiter, was wird empfohlen, Fehlanzeige! Der Entlassungsbefund ist geschönt und entspricht nicht der Realität.

 

 

(Für Long/Post Covid:) Falls Ihr dort hin müsst/geht, intensiv auf Selbstschutz achten, eigene Interessen klar formulieren, wichtige Termine einfordern und selbständig agieren! Keine Erwartungen aufbauen, die werden (zumindest bei mir) nur enttäuscht. Die Natur und gute Anwendungen genießen, den Rest einfach absagen. Nur Ihr könnt Euch helfen, die Klinik ist im Idealfall eine Stütze, kann aber auch eine Belastung sein.

Da eine Reha bei den meisten Betroffenen Teil des Prozesses ist („Reha vor Rente“) und ein gegebenenfalls hohes Gefahrenpotenzial für eine anhaltende Verschlechterung birgt, gibt es jetzt auch eine eigene Seite nur zu Reha auf dieser Webseite (im Aufbau).

Der Crash – so viel mehr als Müdigkeit

Was aber ist dieser ominöse „Crash“, von dem so viele Betroffene erzählen, und von dem immer noch Einige, selbst aus Heilberufen meinen, dass wir uns das nur einbilden oder es eine Depression ist, dass Long Covid, Post Covid, und die schwere Form ME/CFS nur ein Medienphänomen sind? Die Fachbegriffe für den Crash sind PEM (Post-Exertionelle Malaise / „Krise“ nach Anstrengung) oder PESE (Post-Exertional Symptom Exacerbation / Verschlimmerung der Symptome nach Anstrengung).

Lauter schlaue Worte, ich weiß… Daher lasse ich das mal die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS definieren (ausführlicher auch hier):

PEM, manchmal auch Crash genannt, beschreibt eine unverhältnismäßige Verschlechterung der Symptomatik nach körperlicher, kognitiver oder mentaler Anstrengung. PEM ist das Kernsymptom der Erkrankung Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) und kommt auch bei einem Teil der Long-COVID-Erkrankten vor.

Die „unverhältnismäßige Verschlechterung“ ist schwer vermittelbar, viele können sich darunter nichts vorstellen.
Daher möchte ich das an einem persönlichen Beispiel erklären:

Die Chronik eines Crashs

Donnerstag kriege ich Besuch von einem Freund und genieße den Abend, ca. zwei Stunden lachen, reden, involviert sein. Freitag habe ich einen Zoom mit meiner Selbsthilfegruppe, mache etwas in der Wohnung, und treffe noch kurz eine Freundin hier in meiner Straße. Am Samstag fühle ich mich schon etwas mau, das war doch nicht wenig Aktivität die letzten Tage. Daher lege mich nach dem Einkauf schnell ins Bett und schone mich, bin ziemlich schwach, aber es ist noch erträglich. Am Sonntag begehe ich dann den Fehler: Obwohl ich morgens schon recht schlapp bin, fahre ich dennoch zu Freunden. Die sind umgezogen, neues eigenes Haus, erster Besuch dort, aufregend, und ist auch gar nicht weit. Aber schon auf dem Heimweg wird mir klar – das war zu viel, schnell zurück und nur noch ins Bett. Den Rest des Tages bin ich dann sehr schwach und schlecht drauf.

Am Montag dann der eigenliche Crash, die PEM: nach dem Aufstehen geht es gar nicht gut. Das Zähneputzen im Sitzen breche ich ab, schnell ins Bett – aufrecht ist zu viel! Dort dann die „unverhältnismäßige Verschlechterung“: Übelkeit, Flackern vor den geschlossenen Augen, massives Krankheitsgefühl, die Füße/Fußsohlen brennen wie Feuer, ich habe das Gefühl die Luft die ich atme ist zu dünn, das Herz schlägt dauerhaft mit über 100 BPM (im Liegen), ich ertrage nicht mal ein Hörbuch oder Podcast. 3-4 Stunden geht das so, dann kann ich zumindest wieder aufs Klo oder mir einen Tee holen – Tee kochen allerdings bleibt an dem Tag noch eine kleine Herausforderung, mit nötigen Pausen.

Das ist nicht müde oder antriebslos. Das ist krank!

Auch ist es kein kurzes Vorkommen, an diesem Beispiel lag ich dann noch 2-3 weiter Tage im Bett, und erst 3-4 Wochen danach hatte ich das Gefühl, wieder meine „Baseline“ (Grundlevel Energie) im Griff zu haben. Die ist dann zwar oft niedriger als vor dem Crash, aber ich kann wenigstens wieder mein Leben normal bewerkstelligen. Während eines Crashs besteht eine teilweise bis komplette Unfähigkeit für jede Form der Anstrengung, selbst der Gang aufs Klo oder der Griff zum Wasserglas am Bett sind dann eine Riesenanstrengung – und ein Crash kann Tage bis Wochen dauern, die Baseline dauerhaft verringern, oder im schlimmsten Falle einfach gar nicht mehr weg gehen!

Ich bin zum Glück noch mit vergleichsweise glimpflichen Ausprägungen gesegnet, die Vorstellung dauerhaft so im Bett zu liegen wie wenn ich einen akuten Crash habe – unvorstellbar, Terror! Aber das kommt vor, und gerade diese Schicksale sind so fatal, weil dann auch die Kommunikation mit der Außenwelt zum Erliegen kommt. Ich habe ein Video einer sehr jungen ME/CFS Betroffenen gesehen, die nur noch mit ihren Eltern kommunizieren kann, und das nur noch indem sie Buchstaben mit den Zeigefinger zeichnet und ja/nein leise stöhnt – zu mehr reicht die Energie nicht.

Und das ist auch der große Unterschied zu den meisten Krankheiten: Die Erholung nach der ursprünglichen Infektion oder einem Crash wird durch diese Belastungsintoleranz behindert, schlimmstenfalls langfristig. Wer – überhaupt / zu schnell / zu viel – trainiert oder einfach (zu) aktiv ist um wieder fit zu werden riskiert, danach länger oder sogar dauerhaft eben nicht mehr fit zu sein!

Und hier neu dazugekommen die Story des letzten Crashes im Herbst 2024 – nicht zuletzt ausgelöst, weil ich so viel Freude aber auch emotionale Aufgeregtheit an und durch den Launch dieser Webseite empfand: Nach langem Crash geht es langsam wieder weiter

 

Unterstützung durch Familie und Freund*innen

Ich weiß nicht, ob ich ohne meiner Familie und einigen guten Freund*innen noch hier wäre… Das ist ein harter Satz, der eine harte Realität beschreibt. Es gab im ersten Jahr einige Durststrecken, und auch jetzt gibt es Abende im Bett, an denen ich mir wünsche einfach einzuschlafen… Zu wissen, dass es immer Menschen gibt die ich anrufen kann, um Hilfe bitten kann und vor allem einfach mal jammern kann – dieses Wissen fängt mich auch jetzt noch auf wenn es gar zu düster wird, ich wenig Hoffnung sehe.

Ein Mitglied meiner Familie hat schon lange ME/CFS, vor Corona. Daher sind wir leider mit den Themen Fatigue und „Ist das eine „echte“ Krankheit?“ wohl vertraut. Das war für mich ein Segen, da meine Familie das von Anfang an akzeptiert und mich unterstützt hat. In den Gruppen gibt es Geschichten, dass die Beziehung zu Eltern oder Kindern leidet, im schlimmsten Falle zerbricht – das mag ich mir gar nicht vorstellen…

Es ist aber auch bei mir so, dass der Kontakt zu einigen Freunden weniger wird oder ganz einschläft. Ich bin nicht mehr dabei, bei Brunch, Kino, Kneipe, Park, Sport oder Festival, dadurch bin ich auch bei vielen Menschen einfach nicht mehr so in der Wahrnehmung, das ist auch verständlich. Ich kenne das von mir ja auch, und habe früher immer gesagt „Berlin ruft zweimal an (und dann nicht mehr)“ (bevor es SMS und so gab, damals).

Aber selbst vermeintlich gute Freunde stoßen mich vor den Kopf mit Aussagen wie „da gibt es ja keine klinische Befunde, das ist nur psychosomatisch“ oder fragen, ob ich denn jetzt eine Depression hätte. Oder sich nur schwer oder nicht zurückhalten mit der Empfehlung, einfach mal wieder Sport zu probieren. Schön ist auch der Satz „naja, Du bist halt müde, da gibt es doch Schlimmeres!“

Natürlich gibt es auch mal depressive Phasen – zeigt mir den Mensch, die ihr Leben verliert und weiter vollumfänglich guter Dinge ist. Aber Long Covid ist eine organische (!) Krankheit, die einerseits als Symptom auch psychische Probleme (Energiestoffwechsel im Hirn, chronische Schädigung von Nerven(teilsystemen)?) mit sich bringen kann, und andererseits durch den Verlust des Lebens natürlich Frust und Angst erzeugt, und so eine reaktive Depression verursachen kann.

Und auch die emotionale Belastbarkeit nimmt ab, ein dünnes Fell ist bei vielen von uns zu beobachten. Es trifft mich daher unverhältnismäßig, wenn kein Kontakt mehr gesucht wird, Menschen auch bei Treffen überhaupt nicht nachfragen wie es denn geht, oder so Sätze kommen wie „Ein Tag im Bett, da gibt es ja Schmlimmeres [smiley]“. Das ist nicht böse gemeint, trifft aber dennoch tief!

Es ist mir gleichzeitig auch klar, dass es nicht einfach ist, mit mir umzugehen. Ich bin schnell gereizt, zickig, kritisch etc., und trete oft in die Falle zu denken, ich sei der Pol der Welt, und niemand anders auf der Welt oder zumindest in meinem Umfeld hat vergleichbare Probleme. Ich bin dann wie ein kleines Kind was Kränkbarkeit angeht, wenn jemand sich so gar nicht zurück meldet trifft mich das, werde ich bockig, und reagiere nicht immer adäquat.

Auch meine Mutter hatte am Anfang etwas Probleme, mit ihrer Ohnmacht klarzukommen und klang dadurch manchmal etwas … wenig an für mich gerade massiv wichtigen Details interessiert, wollte da am liebsten gar nicht drüber reden – das war reine emotionale Hilflosigkeit, nachvollziehbar wenn dein Kind seine Gesundheit verliert! Wir haben das geklärt, und ich weiß jetzt, dass eine potenzielle emotionale Unbeholfenheit aus Sorge und Liebe und Ohnmacht stammen kann, eine belastende Kombo.

Das sollten wir Betroffenen immer im Auge behalten:
Nicht immer ist böser Wille im Spiel wenn jemand vermeintlich doof, unsensibel oder gar kritisch reagiert. Es gilt (für mich auf jeden Fall!) daher, die eigene emotionale Kränkung genau im Blick zu behalten! Eine „Die sind alle gegen mich“-Haltung habe ich schon des öfteren beobachtet, manchmal auch nicht nur bei anderen…

Gleichzeitig zeigen sich die wahren Freund*innen, die weiter regelmäßig zu Besuch kommen, den Weg auf sich nehmen, sich regelmäßig melden, und auch mal Unterstützung anbieten. Und die langen Gespräche mit meinen Schwestern sind sowas von therapeutisch wertvoll!

Danke Euch allen – ohne Euch wäre mein Kampf noch unerträglicher! Herz-Emoji

Was hilft?

Um es kurz zu machen – Pacing. Jede Form von Stress, aber auch freudige Anstrengung, vermeiden. Meditieren und die Ruhe bewahren. Vagusnerv aktivieren, Körper nicht überlasten.

Das wars!

Klingt unbefriedigend? Willkommen im Club

Leider ist es für uns Betroffene medizinisch betrachtet noch eine ziemliche Enttäuschung.

Es gibt einige Off-Label Anwendungen von existierenden Medikamenten, z.B. einen Klassiker in der ME/CFS-Community LDN (Low Dose Naltrexon) nehme ich auch. Ich habe seither die Hoffnung, dass die Licht- und Lärmsensibilität dadurch etwas besser geworden sind, die Energie etwas konstanter und die Crashs weniger intensiv ausfallen. Generell ist es immer sehr schwer, eindeutige Bezüge zu einer Anwendung zu ziehen, da es – bei mir zumindest – immer und beständig auf und ab geht: Ist es nun das Medikament / das Nahrungsergänzungsmittel das hilft, oder bin ich einfach gerader wieder besser im Pacing, oder ist der Körper unabhängig von der Belastung in Phasen sowieso mal besser und mal schlechter, oder oder …?

Es gibt eine Unzahl von Anwendungen und zunehmend auch Geschäftsmodellen, die mehr oder weniger gut helfen. Ich sehe von einer detaillierten Darstellung hier ab. Ich habe so viele probiert, und nichts hat maßgeblich was geändert – und wie groß der Placeboeffekt bei einer vermeintlichen Wirkung ist… Unter News > Therapie / Forschung versuche ich Relevantes aus dem Bereich zu sammeln, gerne dort mal schauen. Weiterhin gibt es eine Sammlung aus den Gruppen, die aber nur eine Erfahrungssammlung ist und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, und auf keinen Fall irgendwelche Empfehlungen ausspricht. Diese werde ich in Kürze auf der Seite Long Covid > Therapie verlinken.

Meditation, Therapie & Loslassen

Viele von uns sind auf der Suche nach dem heiligen Gral, „Wenn erst das richtige Medikament da ist, dann wird alles wieder gut!“, war ich auch (und auf einer gewissen Ebene sicher auch weiterhin).

Das ist denke ich eine Gratwanderung – natürlich wollen und sollen wir die Hoffnung nicht aufgeben! Gleichzeitig ist der Mindset „Ich muss gesund werden, nur dann bin ich zufrieden“ in meinen Augen auch etwas kontraproduktiv. Ich habe bei mir feststellen müssen, dass erst durch die Akzeptanz der Krankheit und daraus folgend eine Annahme der neuen, stark reduzierten Lebenssituation eine gewisse Ruhe aufkam, und so eine teilweise Heilung überhaupt erst starten konnte.

Durch den steten Kampf und Widerstand gegen diese kranke neue Lebensgefühl entstand bei mir psychologisch Reibung, latenter Stress und chronischer Frust. Ich hatte dann das wahnsinnige Glück, einen Therapieplatz zu finden, Kasse und alles, was mir bei diesem Prozess maßgeblich geholfen hat! Dort haben wir diesen Kampf eingehend besprochen (und tun es noch), immer auch mit Blick auf tieferliegende, alte psychologische Muster, die mir jetzt durch die Krankheit besonders im Weg stehen. Mit zunehmender Akzeptanz und Annahme der Situation legte sich auch etwas der Ärger, die Wut auf die Welt und die Krankheit.

Es ist mitnichten Alles gut! Aber jeden Morgen und Abend Meditieren hilft, und mir in dieser Situation besonders. Dass ich jetzt unbefristet berentet wurde war einereseits ein ganz schöner Klopper („selbst der Rententräger denkt nicht, dass ich noch mal zurück komme…“), aber nach dem ersten Schock war es schon beruhigend zu wissen, dass ich zumindest gerade genug Geld zum Wohnen und Essen habe. Und ziemlich unerwartet habe ich die Erwerbsminderungsrente schon bei der ersten Verlängerung bis zu meinem normalen Renteneintritt erhalten, ich muss also nicht alle paar Jahre vorstellig werden. Das hilft beim Loslassen, theoretisch habe ich ein solides, bedingsungsloses Grundeinkommen.

Physiotherapie erhalten wir mit gesicherter Diagnose unbegrenzt, das hat mir im Winter sehr geholfen. Auch wenn meist zu wenig Energie für Gymnastik vorhanden war, Massage oder sanftes Bewegen tut auch sehr gut. Verbunden mit einer Wärmepackung war das mein kleines Wellnesspaket im Winter, eine deutliche Hilfe, gerade Massage und Berührung. Entspannung, Stress reduzieren, „weicher werden“.

Sanftes Yoga, Gymnastik oder im Notfall einfach ein wenig auf der Matte twisten rollen helfen mir auch sehr. Besser gesagt – wenn ich nicht regelmäßig auf die Matte gehe, kriege ich Schmerzen. Die sind dann ganz banal orthopädisch bedingt, und zum Glück sind diese Schmerzen noch einzufangen – wenn halbwegs Energie für Bewegung da ist. Das ist auch eine zentrale Angst: irgendwann nicht mehr fit zu sein, wenigstens „Rentnerwackeln“ zu schaffen, und dann noch mehr Schmerzen kommen…

Atmen & Meditation

Zum Glück hatte ich mich schon lange vor Corona mit Mediation und Entspannungsübungen beschäftigt. Schon in den 90ern lernte ich nach eine Motoradunfall PMR Progressive Muskelrelaxation, die mich seitdem helfend begleitet. Später habe ich noch Vipassana gelernt und habe so, und durch weitere Beschäftigung mit dem Thema und Austausch mit anderen eine kleine Palette an Meditations- und Entspannungsübungen zur Hand. Waking up von Sam Harris ist meine Meditations-App zur Unterstützung. 

Als besonderen Teil der Meditation möchte ich noch die Atmung erwähnen. Langes Ausatmen hilft zu beruhigen. Beim Atmen senkt sich die Pulsfrequenz, was automatisch einen Entspannungsimpuls setzt. Dazu gibt es zig Erklärungen, Anleitungen und Übungen, alle mit dem Ziel, den Parasympatikus & Vagusnerv zu aktivieren. Findest Du.

Und wenn der Kopf mal wieder zu unruhig ist für eine Meditation, eine Runde entspannt atmen hilft bei mir immer! Und auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen – Ruhe im System ist zentral, und Meditation, Achtsamkeit und Atmen sind die Sockel, auf die wir unsere Heilung vorsichtig setzen können.

Cannabis

Da ich früher gerne Cannabis konsumiert habe, habe ich dann auch probiert, ob das in meiner jetzigen Situation helfen könnte. Damals dachte ich ja, dass so genanntes medizinsches Cannabis nur ein Vorwand zum Kiffen ist…

Hier muss ich deutlich Abbitte leisten! Akut hilft es mir, wenn ich crashe oder schlechte Tage habe, an denen ich mit Übelkeit im Bett liege, nichts außer dösen geht. Es reduziert die Übelkeit und das Krankheitsgefühl sehr stark und hilft beim „Liegen und Nix tun“, besser als alles andere, und der Schlaf … findet statt. Als Cannabis-Patient erhalte ich jetzt dank der Legalisierung geprüfte Qualität zu niedrigen Preisen in der Apotheke.

Da ich Rauchen (Tabak) nicht mehr gut vertrage, vape ich ein mit einem sehr guten Vaporizer und bereite mir überwiegend orale Formen (gelöst in Fett oder als Alkohol-Tinktur) zu, die mir deutlich Linderung bei den chronischen Probleme verschaffen. So sind die Nervenschmerzen weniger bzw. belasten nicht so, und ich schlafe mit Cannabis vergleichsweise sehr gut. Und ganz ehrlich – wenn ich mich ins Bett legen muss weil ich zu viel gemacht habe oder um nicht zu viel zu machen, hilft Cannabis beim Entspannen und es fühlt sich auch einfach nicht mehr so frustig an. Der hedonistische Aspekt von Cannabis (leichte Euphorisierung, Genuß) ist für mich somit primär medizinisch wertvoll geworden. Auch hilft es, die dunklen Gedanken etwas aufzuhellen, die Verzweiflung ist nicht mehr so im Vordergrund.

Natürlich passe ich auf, ob und wie sehr da eine Gewöhnung eintritt, und mache regelmäßig Pausen. Aber der Gewinn an Lebensqualität wiegt für mich die Risiken mehr als auf.

In letzter Zeit nutze ich daher auch zunehmend die THC-freien, nicht berauschenden Gräser wie CBD, CBN und CBG, die ich mit dem THC-haltigen Gras mische. Die Beruhigung und die hoffentlich auch entzündungshemmenden Eigenschaften stehen jetzt im Vordergrund, nicht mehr der Buzz.

DISCLAIMER: Das ist keine Empfehlung – Cannabis ist ein Stoff mit Suchtpotenzial, trotz Legalisierung! Jede Wirkung kommt mit Nebenwirkungen! Auf jeden Fall mit Ärztin besprechen! Bei Interesse nutze den Kontakt.

Wie geht’s weiter?

In Kürze – hoffentlich wird es nicht schlechter. Wenn es wieder besser wird freue ich mich – aber ich richte mein Leben nicht auf die exklusive Hoffnung aus, dass es besser wird!

„Alles muss wieder gut  werden“
oder
„Auch wenn ich krank bin lebe ich mit Genuß und Freude, halt eingeschränkt“ 

Das ist mir sehr wichtig. Natürlich hoffe ich auf Besserung, das geht gar nicht anders wenn ich nicht in Depression verfallen will. Aber es wird auch ein Leben möglich sein müssen (!), falls ich weiter pacen muss, keine Party mehr mache, im Bestenfall einen Minijob zusätzlich zur Rente machen kann, nicht mehr Tauchen und wenig /nur E-Radeln kann, und Alles einfach sehr reduziert abläuft.

Die Differenzierung zwischen diesen beiden Perspektiven („Alles muss wieder gut / wie vorher werden“ vs. „Auch wenn ich chronisch krank bin versuche ich mein Leben mit Genuß und Freude zu gestalten, halt eingeschränkt“) ist in meinen Augen ein maßgeblicher Punkt auf dem Weg zur Genesung oder zumindest zur Akzeptanz und Annahme der neuen Lebenssituation. Ich sehe das bei mir klar als inneren Kampf der Reibung erzeugt, und dadurch kontinuerlich Energie kostet, von der ich eh zu wenig habe. Durch die Psychotherapie habe ich in den letzten Monaten sehr viel gelernt und versuche, Ärger, Trauer und Angst zu verarbeiten.

Auch bei anderen Betroffenen sehe ich diesen Konflikt, den Dauerstress. Und wenn alles immer die Hölle ist, alle gegen einen sind, dann ändert sich natürlich auch das eigene Verhalten, die latente Aggression steigt und vieles mehr, es drohen Feedback Loops ins Negative. Und viele von uns waren schon vor der Krankheit etwas „schneller“ und mit einer etwas höheren Erregbarkeit ausgezeichnet.

Mir helfen in dieser Situation Leitsätze wie „Das ist gut genug!“ (sowohl in Bezug auf eine allgemeine überzogene Selbsterwartung als auch ganz pragmatisch auf die neue, reduzierte Lebenssituation) oder „Auch wenn ich nicht nicht mehr alle meine alten Fähigkeiten habe kann ich ein schönes Leben haben“ und (ganz wichtig!) „Wenn ich mich schone, vor allem wenn es mir gut geht, ist das keine Faulheit sondern ein notwendiger Schutz meiner Gesundheit!“.

Und natürlich mein Klassiker: „Ruhig, Brauner! Gaaaaanz ruhig“.

Ich sehe das als ein Art mentales Yoga, immer wieder dehnen, die geistige Flexibilität aber auch Kraft regelmäßig ansprechen. Das geht nicht sofort, und manchmal möchte ich den ganzen Psycho- und Hippiekrams in die Ecke treten. Was auch ok ist, der Frust und auch die Trauer dürfen und müssen auch mal raus – sie sollten nur nicht die Basisemotionen bilden.

Und natürlich hoffe ich auch, in 1-2 Jahren wieder arbeiten zu können, sicherlich nicht mehr im Umfang und Niveau wie vorher. Aber ein Mini-Job sollte schon drinnen sein. Das heißt aber auch, dass ich eine gewisse körperliche Belastbarkeit erreiche, und nicht gleich von einer Runde mit mehr als einer Person einen dicken Kopp bekommeQ

RentnErik

In der Reha musste ich akzeptieren, dass an Arbeit erst mal nicht zu denken ist. Und mir die volle Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) empfohlen wird. Das war ein Schock, klar! Insgesamt war es aber die völlig richtige Entscheidung. Ich habe jetzt eine knapp ausreichende Grundversorgung, und vor allem erst mal Ruhe, ich muss bis ich 67 bin (in 15 Jahren) keinen Antrag mehr stellen. Und darf theoretisch bis zu 3h am Tag arbeiten und ca. 17.500 EUR/Jahr dazuverdienen, so ich die Kraft habe. Keine ganz schlimme Perspektive…

Aber der Reihe nach, wie lief das alles ab?

tl;dr
Telefonische Beratung beim Rententräger. Telefonisch dann den Antrag gestellt, mit Unterstützung. Erste Bewilligung kam drei Monate später, rückwirkend und nicht für lange. Daher bald danach Folgeantrag gestellt, zwei Monate danach der zweite Bescheid – volle Erwerbsminderungsrente (EM-Rente) bis reguläre Rente mit 67. Keinerlei Probleme!

Die etwas ausführlichere Version:

Nachdem ich in der Reha in den Neuro-Tests am Bildschirm phänomal versagt hatte und nicht mal im unteren Durchschnitt landete, wurde mir trotz allem inneren Widerstand klar, mit Job wird erst mal nix. Ich bin Bildschirmarbeiter, muss kreativ denken und schreiben, und genau das macht mich jetzt an manchen Tagen sehr schnell total fertig. Zwei Wiedereingliederungsversuche gingen nicht umsonst mit harter PEM zu  Ende… Daher kam die Aussage, erst mal die volle EM-Rente zu beantragen, das lässt sich auch jederzeit rückgängig machen. Da zu der Zeit das Krankengeld in 6 Monaten auslief klang das sinnvoll. In der Reha wurde mir eine Rentenberatung versprochen, ohne dann stattzufinden. Beim SovD habe ich über Wochen versucht jemanden zu erreichen, auch eine Nullnummer. Was aber anscheinend den ganzen Prozess sehr geschmiert hat war, dass die Reha-Klinik zumindest meinen desolaten Zustand und die Empfehlung zur Rente so eindeutig in den Entlassungsbericht schrieb.

Schließlich habe ich einen telefonischen Beratungstermin mit dem Rententräger Bund vereinbart, das war sehr hilfreich und hat mir bestätigt, dass das kein Hexenwerk ist, und ich sogar entspannt am Telefon den Antrag stellen kann. Was ich dann auch tat, absolut stressfrei. Im September 2023 war das, und schon Mitte Dezember 2023 kam der positive Bescheid, der oben erwähnte Reha-Bericht hatte anscheinend eine ausführliche Prüfung durch den medizinischen Dienst vereinfacht. Der Bescheid galt rückwirkend ab des Termins meines Reha-Antrags Ende 2022 (weil ich seitdem quasi nicht mehr arbeitsfähig war), und auch nur bis August 2028 – in vier Monaten musste ich also gleich den nächsten Antrag stellen. Was ich im April 2024 tat, und wieder sehr schnell den zweiten, und „letzten“ Bescheid erhielt: Diesmal bis ich 67 bin, das Ende meiner Regelarbeitszeit. Ich schrieb es schon, es war ein kleiner Schock, „das wars mit Arbeit“, aber insgesamt eine massive Erleichterung.

Es ist kein riesiger Betrag, aber es fühlte sich eben nicht nur schlecht an, es ist auch eine deutliche Beruhigung. Zudem ich noch aus meinen Zeiten im öffentlichen Dienst an Einrichtungen wie dem HZB (früher auch bekannt als HMI Hahn Meitner Institut) in Wannsee einen kleinen Anspruch auf VBL, eine Art Betriebsrente habe, die immerhin noch mal gute 10% der Rente on top bringt. Reicht das? Ein klares Jain. Wenn ich alles runterfahre, z.B. das Fitnessstudio dauerhaft kündige, und natürlich meinen Camperbus verkaufe etc., dann wird es grad so gehen, ich habe noch eine „alte Miete“.

Wenn ich jetzt allerdings aus meiner Wohnung ausziehen müsste und was Neues finden – das ist mittlerweile von einem diffusen Systemaufreger zu einer gefühlt echten Bedrohung geworden! Allerdings bin ich in dieser Hinsicht extrem glücklich über und dankbar für meine Familie. Ich weiß, dass ich in Notfällen aufgefangen werde, die Altersarmut wird erträglich, hoffe ich. Aber die großen Sprünge sind vorbei, ich gehe jetzt 50% Lebensmittel jagen und schaue ganz anders aufs Geld.

Nach dem Rentenbescheid ist jetzt erst mal weiter Ruhe finden angesagt, Pacing und dennoch versuchen leicht aktiv zu bleiben. Jeden morgen leichtes Yoga praktizieren, täglich meditieren und Atemübungen machen, weiter versuchen raus zu gehen und Leute zu treffen, mal etwas mehr auszuprobieren ohne es zu übertreiben. Und auch beim nächsten Crash nicht die Hoffnung verlieren, und jeden Tag bei aller Anerkennung der beschissenen Situation gleichzeitig Danke sagen für alles was ich habe: Familie, Freunde, eine Wohnung, ausreichend Essen, die Fähigkeit mich selber zu versorgen und Ressourcen an meiner Heilung zu arbeiten, viele Medien und einen schönen Balkon mit Heilpflanzen – das muss fürs Erste reichen!

Oder wie wir es in einer Gruppe entwickelt haben, angelehnt an die Prinzessin:

Aufstehen, Öhrchen massieren*, weiterpacen.

* Soll gut für den Vagusnerv sein

 

 

Epilog

Nun ist es 10 Jahre her, dass ich mir in 2022 Long Covid und in Folge ME/CFS zugezogen habe. Wenn ich zurückschaue auf 2024, das Jahr in dem ich mein Stimmen-Projekt startete, hat sich doch einiges zum Guten gewendet.

Ende 2026 machte ich einen deutlichen Schritt in Richtung Gesundheit, nachdem ich Mitte 2026 ein neues Medikament im Off-label Use dazugenommen hatte. Auch wenn es mich befähigte, ab Mitte 2027 wieder eine 10-Stunden Stelle mit relativ wenig Stress und Verantwortung anzutreten, bin ich leider weiterhin mit ME/CFS belastet. Deutlich milder als vor 10 Jahren, aber mehr als ca. 70% (altersangepasste) Leistung sind nicht mehr drinnen.

Was mir mittlerweile völlig reicht und ein Riesengewinn ist! Ich kann mit meinem kleinen WoMo fahren, und vor allem wieder regelmäßig leichten Sport treiben. Das hat mich unheimlich nach Vorne gebracht, dem körperlichen Verfall etwas Einhalt gebieten. Entspannte Urlaube sind möglich, mal ein Kino und auch der Buchklub in der Kneipe. Und vor allem – ich kann (meistens) wieder Lesen, die Hörbücher sind für die schwachen Tage reserviert!

Solange ich mein Yoga und meine Meditation mache, mich von nichts aus der Ruhe bringen lasse und ein stressarmes Leben führe, komme ich um einen Crash umhin – der letzte ist jetzt fast ein Jahr her. Yeah! Der Umzug in einen ruhigeren, grüneren Stadtteil hat sicher zu meiner Stabilität beigetragen, auch wenn ich jetzt etwas öfter und weiter fahren muss um Freunde zu treffen. Rückblickend bin ich froh, dass ich damals nicht komplett den Mut verloren habe und ein neues, ruhigeres Leben finden konnte mit dem ich meine Symptome weitestgehend im Griff habe.

Soweit zu gehen und zu sagen, dass die Krankheit mich zu einem entspannteren und besseren Leben geführt hat, würde ich nicht gehen. Aber ich habe trotz Einschränkung ein oftmals schönes Leben, und die kleinen Freuden im Alltag sind meistens ausreichend.

Und das Allerbeste zum Schluss: Ich konnte in 2027 wieder unter Wasser, Tauchen, und seitdem regelmäßig wieder! Auch hier, deutlich langsamer und weniger abenteuerlicher, und mit Hilfe beim Material schleppen – aber es blubbert wieder!

 

Gebt nicht auf!

 

 

 

 

Berlin, September 2024