Belastungs-Malaise erschwert Reha bei Long-COVID
verfasst von: Dr. med. Bianca Bach
Um Menschen mit Langzeitfolgen von COVID-19 wirksam zu rehabilitieren, ist eine etwaige Post-Exertional Malaise unbedingt mitzuberücksichtigen, und das Trainingsprogramm entsprechend anzupassen.
Dyspnoe und Fatigue sind die häufigsten Symptome bei Long-/Post-COVID-Syndrom (PCS). Hinter der vielbeklagten Müdigkeit verbirgt sich mitunter eine schwere, belastungsinduzierte Erschöpfung. Wird diese Post-Exertional Malaise (PEM) ignoriert, sind Rehabilitations-Bemühungen oft vergebens. Reguläre Trainingsprogramme überfordern diese Menschen.
„Wir haben sicher noch nicht das optimale Long-COVID-Reha-Konzept“, sagte Dr. Rainer Glöckl, Forschungsinstitut für pneumologische Rehabilitation, Schön Klinik Berchtesgadener Land, Schönau am Königssee. Während sich in einer ähnlichen Erhebung der Deutschen Rentenversicherung 90 % der Befragten mit PCS zufrieden oder sehr zufrieden über ihre stationäre Rehabilitationsbehandlung äußerten, erklärten in einer Online-Befragung 2023 die Hälfte von 1191 an PCS erkrankten Erwachsenen, ihr Gesundheitszustand habe sich in der Reha verschlechtert [1]. Schnell identifizierte Glöckl den Grund für die Diskrepanz: In der zweiten Kohorte gaben 95 % an, eine deutlich oder stark ausgeprägte PEM zu haben; 52% berichteten explizit von der Diagnose einer Myalgischen Enzephalitis/Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS).
Post-COVID ist nicht ME/CFS
„Hier wird Post-COVID mit ME/CFS gleichgesetzt. Und das ist definitiv falsch“, kritisierte der Sportwissenschaftler. ME/CFS sei eine der schwerwiegendsten PCS-Folgen – dennoch forderte er, begrifflich klar zwischen PCS mit und ohne manifeste ME/CFS zu unterscheiden. „Nicht jeder Post-COVID-Patient hat ME/CFS!“.
PEM als Kardinalsymptom von ME/CFS beschreibt laut Glöckl „eine wirklich massive Erschöpfung aufgrund einer vermeintlich kleinen, kurzen Belastung.“ Die kann körperlich, geistig oder seelisch sein. Neben der extremen Erschöpfung, die als „Crash“ meist 1-2 Tage verzögert nach einfachen Alltagstätigkeiten, wie Spazierengehen, Kochen oder nur einer Unterhaltung exazerbieren kann, sind auch Muskel-, Gelenk- und Kopfschmerzen, grippeartige Symptome, kognitive Beeinträchtigungen, wie Brain-Fog, Schlafstörungen und Kreislaufprobleme mit orthostatischer Intoleranz möglich.
Bioptisch nachgewiesene mitochondriale Verdickungen, mikrovaskuläre Auffälligkeiten und muskelspezifische inflammatorische und immunologische Veränderungen deuten pathophysiologisch auf ein organisches Korrelat hin.
Nicht-fundierte Empfehlungen, die verunsichern
Ursache großer Verunsicherung und entsprechend problematisch sei, dass die Betroffenen aus dem Internet, aber auch von Ärztinnen und Ärzten Empfehlungen erhalten, „die überhaupt nicht evidenzbasiert sind“, so Glöckl. Beispielsweise werde ihnen gesagt, sie dürften bestimmte Herzfrequenzen nicht überschreiten.
Das wird auch bei der Reha zum Hindernis. Trainingstherapien sind ein wesentlicher Baustein von Reha-Programmen – und nun kommt mit an PCS mit oder ohne PEM Erkrankten eine Patientengruppe, die in Teilen nicht belastbar ist.
Bei systematischer Auswertung von 46 Studien zur Trainingstherapie in PCS-Kollektiven erkannte Glöckl „keinen roten Faden“, nach welchen Parametern Rehabilitationsmediziner und -medizinerinnen das Training steuerten [2]. Besonders erstaunte ihn, dass PEM in keiner der Studien auch nur erwähnt wurde.
Mit seinem Team hat er nun versucht, auf Basis des Reviews und von Expertenumfragen „zumindest einmal eine grobe Handreichung zu geben, wie man mit Patienten mit PCS trainieren könnte.“ Zentral ist dabei die Frage nach einer PEM. „Wenn keine PEM vorliegt, können wir ein relativ umfangreiches, auch intensives Trainingsprogramm machen, mit Ausdauertraining, Krafttraining, gegebenenfalls Atemmuskeltraining, wie wir es sonst in der Pneumologie auch tun.“ In der mittleren Gruppe sei ein angepasstes individualisiertes Trainingsprogramm möglich. Dabei sei immer wieder neu auszuloten, was möglich sei, ohne die PEM zu triggern.
Sanft einsteigen, schrittweise steigern
Inzwischen gibt es erste Reha-Studien auch bei Menschen mit PCS und PEM. Demnach profitieren einige sehr wohl von Trainingsprogrammen. Anderen wiederum geht es dadurch schlechter. „Und das ist in Zukunft genau die Kunst“, sagte Glöckl, „diese Patienten herauszufiltern und mit ihnen ein angepasstes Trainingsprogramm zu machen.“
Dabei eignet sich Pacing, das nach den Empfehlungen von Glöckls Arbeitsgruppe bei sehr schwerer PEM an die Stelle eines Aktivierungsprogramms tritt: Die Patienten und Patientinnen lernen, Belastungen symptomorientiert zu regulieren, ihren eigenen Rhythmus zu finden und ihre Energie gezielt einzuteilen. Nach dem WHO Borg CR-10 Pacing-Protokoll sind fünf Stufen zu durchlaufen, von der „Vorbereitung zu einer Rückkehr zum Training“, etwa mit kontrollierten Atemübungen, Balanceübungen, sanftem Stretching oder Gehen, bis zu regelmäßigen sportlichen Aktivitäten in Stufe 5.
Dieses Protokoll nutzten Forschende aus England in einer 6-wöchigen Studie mit 31 durchschnittlich seit 1,5 Jahren an PCS-Erkrankten [4]. Sie blieben mindestens 7 Tage auf einer Stufe und rückten dann vor oder zurück, je nachdem, ob PEM ausblieb oder eintrat. Die Anzahl der Crashes ging schon nach der ersten Woche zurück.
„Wenn man die Option hat, ist es wahrscheinlich besser, so früh wie möglich einzugreifen“, sagte Glöckl. Denn bei Wiederholung der Studie mit einer schon zwei Jahre lang erkrankten Kohorte sei der Effekt weniger deutlich gewesen.
Letztlich zähle auch, mit welcher Erwartungshaltung jemand in die Reha startet. Glaubt jemand ohnehin nicht an Besserung, ist mit einem Nocebo-Effekt zu rechnen. Hat er unrealistisch hohe Erwartungen, wird er enttäuscht.