„Geschichten von Genesung fehlen“

In einem Tagesschau Beitrag vom 27.4.2025 heißt es u.a.:

In seiner Suche nach Antworten stieß er auf Selbsthilfegruppen im Internet. Die erhoffte Hilfe blieb allerdings aus. „Das ist ein sehr schwieriges Umfeld und vor allem, wenn man selber noch betroffen und verzweifelt ist“, sagt der 34-Jährige. Denn dort werde einem oft gespiegelt, „du erfüllst die Symptomatik einer unheilbaren Krankheit.“

 

Was fehle, sowohl im Netz als auch in den Medien, seien Geschichten über die Menschen, die wieder gesund werden.

Das kennen wir wohl alle. Dieser Artikel spricht einerseits ein wichtiges Thema an – Fokus auf Genesung oder auf Akzeptanz und Annahme? Dazu auch mein Beitrag.

Allerdings wird hier auch ziemliches Gaslighting wie Toxic Positivity betrieben, und es werden „Therapien“ erwähnt, die keinerlei Evidenz aufweisen. Gleichzeitig fehlen einige Basisinformationen.

Wenn Euch also jemand diesen Artikel sendet, gerne die untenstehende Replik nutzen.

Replik einer betroffenen Person:

Der Artikel zeigt problematische Tendenzen in seiner Behandlung von Heilungsgeschichten im Kontext von Long Covid (und ME/CFS), insbesondere durch die unreflektierte Förderung toxischer Positivität. Toxische Positivität, die oft in Heilungserzählungen auftaucht, trägt zu einer gefährlichen Verzerrung bei, indem sie suggeriert, dass alle Betroffenen von Long Covid durch „positive Gedanken“ oder bestimmte Techniken vollständig geheilt werden können. Dies erweckt nicht nur den falschen Eindruck, dass die Krankheit allein durch den Willenskraft überwunden werden kann, sondern verstärkt auch die Schuldzuweisung an die Betroffenen, falls sie nicht die „richtige Einstellung“ oder die „richtigen Methoden“ anwenden. Diese Art der Darstellung wertet die Schwere der Erkrankung(en) ab und ignoriert die tatsächlichen, oft komplexen medizinischen und biologischen Mechanismen, die hinter Long Covid stehen. Es ist eine schädliche Botschaft, die die Betroffenen weiter isoliert und ihre reale, langwierige und oft missverstandene Krankheit(en) noch weiter stigmatisiert.

 

Die Heilungschancen bei Long Covid sind nach aktuellem Stand der wissenschaftlichen Literatur begrenzt und stark individuell unterschiedlich. Während sich ein Teil der Long-Covid-Patient*innen innerhalb von Monaten nach der akuten Infektion bessert, bleibt bei einer relevanten Gruppe die Symptomatik bestehen. Besonders dann, wenn ein Krankheitsbild mit post-exertioneller Malaise (PEM) – dem Leitsymptom von ME/CFS – entsteht. Insgesamt zeigt die wissenschaftliche Lage, dass es garantierte Heilungen bislang nicht gibt. Daher ist eine realistische Aufklärung nötig. Sie verweisen im Artikel auf weiterführende Informationen der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS, die Ihrer Darstellung maßgeblich widersprechen.

 

Für ME/CFS selbst existiert bislang keine kausale Therapie. Die Erkrankung verläuft chronisch und schwer, mit sehr eingeschränkter Lebensqualität. Laut Studien sind vollständige Heilungen sehr selten. Frühzeitige Diagnostik, symptomatische Behandlung (z. B. Energie-Management/Pacing!) und eine Vermeidung von Überlastung gelten als entscheidend, um eine Verschlechterung zu verhindern. Auch dies widerspricht dem Tenor des Artikels.

 

Ein besonders problematisches Konzept, das im Artikel zur Sprache kommt, ist das sogenannte Brain Retraining, das als eine mögliche Lösung für Long Covid vorgestellt wird. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um eine Methode, die stark an den Lightning Process erinnert – eine Technik, die als pseudowissenschaftlich und potenziell gefährlich betrachtet wird. Der Lightning Process, wie auch Brain Retraining, zielt darauf ab, körperliche Symptome durch eine Umstrukturierung von Gedankenmustern und Verhaltensweisen zu behandeln. Diese Ansätze wurden in den offiziellen medizinischen Leitlinien des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) ausdrücklich zurückgewiesen. NICE stellte klar, dass es an wissenschaftlichen Beweisen fehlt, die die Wirksamkeit dieser Methoden zur Behandlung von ME/CFS oder Long Covid belegen. Stattdessen hat die Wissenschaft die Besorgnis geäußert, dass solche Programme die Betroffenen in die Irre führen und sie von notwendigen medizinischen Behandlungen ablenken könnten. Es wird daher dringend empfohlen, solche Methoden kritisch zu hinterfragen, besonders wenn sie als „Heilung“ präsentiert werden.

 

Darüber hinaus ist die Darstellung der Long Covid und ME/CFS-Community im Artikel problematisch und verstärkt die bestehende Stigmatisierung der Erkrankung. Es entsteht der Eindruck, dass die Betroffenen selbst schuld sind, da sie sich „unangemessen verhalten“ und „nicht genug tun“, um ihre Krankheit zu überwinden, was wiederum zu einer weiteren gesellschaftlichen Entwertung und Isolation führt.

 

Aus den genannten Gründen möchte ich sie eindringlich bitten, den Artikel umfassend zu überarbeiten oder zum Schutz der Erkrankten offline zu nehmen.