Susanna

Wie es wirklich ist…

Long COVID zu haben!

Das Schlimme ist, dass man es mir nicht ansieht. Und in manchen Situationen auch nicht anmerkt. Das könnte ja eigentlich positiv sein – und ist es auch für mich persönlich -, aber es bringt mich unentwegt in die Situation, mich erklären und rechtfertigen zu müssen, warum ich nicht arbeite, Verabredungen absagen muss, kaum außer Haus gehe, im Verlauf eines Gesprächs plötzlich abschalte… Ich stecke voller Ideen, Energie und Tatendrang – aber der Körper streikt!

Alle meinen es nett, aber irgendwann kann man es einfach nicht mehr ertragen, dieses ständige „Ja, ich bin auch so erschöpft!“, „Ach, das Wetter ist so schön, da geht es dir sicher gleich besser!“, „Du wirst schon sehen, bald ist alles von alleine wieder gut!“, „Hast Du vielleicht Depressionen?“, „Trainiere nur tüchtig, dann bist Du schnell wieder fit!“, „Na, geht es dir heute wieder gut?“ u. v. m.

Angefangen hatte alles mit einer mild verlaufenden Corona-Erkrankung Ende Dezember 2022. Ich brauchte Monate, um wieder auf den alten Energielevel zu kommen und wie früher mit Freude meinen Alltag mit Arbeiten, Familie und Hobbies zu genießen. Im Sommer 2023 fühlte ich mich wieder fit. Mitte September 2023 kam dann ein schwerer Infekt. Ich erholte mich nicht, fühlte mich schwach, hatte Wortfindungs- und Konzentrationsprobleme, war abgrundtief erschöpft nach kleinsten Anstrengungen und konnte meine Arbeit nicht mehr zufriedenstellend ausführen. Der Corona-Test war zwar negativ gewesen, aber mein Zustand fühlte sich im Verlauf und von den Symptomen her genauso an wie die Corona-Erkrankung, die mich dann im November 2023 erwischte, gefolgt von einem weiteren Infekt kurz nach Weihnachten. Nun kam ich gar nicht mehr auf die Beine. Um Long COVID zu „diagnostizieren“, mussten alle anderen Erkrankungen, die Symptome wie Brain Fog, Fatigue, Belastungsintoleranz, Konzentrations- und Wahrnehmungsstörungen etc. auslösen könnten (wie z. B. Krebs), ausgeschlossen werden. Zum Glück habe ich eine fantastische Hausärztin, die diese Erkrankung von Anfang an vermutete und ernstnahm. Sie leitete mit Nachdruck alle notwendigen Untersuchungen in die Wege. Es begann eine Odyssee: Neurologie, Kardiologie, Gynäkologie, Endokrinologie, MRT des Gehirns, Mammographie, Blut-, Stuhl- und Urinuntersuchungen, Oberbauchsonographie, Belastungs-EKG usw… Als Kassenpatientin war es nicht so einfach, schnell Termine zu bekommen, einer steht sogar jetzt noch aus!

Eine Anfang Januar beantragte und sehr schnell bewilligte Reha liegt inzwischen hinter mir. Zum Glück ist es inzwischen in den Kliniken angekommen, dass Long COVID-Patienten NICHT durch Training bis zur Erschöpfung geheilt werden. Da hatte ich in der Selbsthilfegruppe, die ich seit April besuche, schlimme Berichte gehört von Menschen, die ihre Reha abbrechen mussten oder völlig erschöpft und kränker als vorher zurückkehrten.

Ich versuchte dort, meine Angst vor der Überlastung abzubauen, die mich in einen Zustand völliger Untätigkeit gebracht hatte. Ich übte, ein Gefühl dafür zu bekommen, was ich tun kann – körperlich und geistig – und wann ich aufhören muss. Dieses „Pacing“ gilt es zu lernen, das bedeutet, nicht über die eigene Belastungsgrenze zu gehen, um nicht immer tiefer in den Erschöpfungszustand zu geraten. Eine schwierige Angelegenheit, da die Erschöpfung häufig zeitversetzt auftritt, manchmal bis zu 48 Stunden später.

In der Klinik wurden wir ermutigt, uns nicht sozial abzukapseln, sehr langsam und vorsichtig in Bewegung zu kommen, Dinge zu tun, an denen wir Freude haben, uns aber nie zu überlasten. Und wenn es doch mal zu viel war, konsequent auszuruhen.

Auch eine stationäre Behandlung in einer anthroposophischen Klinik brachte nicht den erhofften Erfolg. Hyperthermie (künstliches Fieber) und Mistelinfusionen (eigentlich eine Therapie bei Fatigue nach Chemotherapie), bei anderen Patient*innen häufig die Symptome verbessernd, schlugen bei mir nicht an, ebenso wenig eine Cortisontherapie im Anschluss. Es gilt, die Hoffnung nicht aufzugeben und weiterzusuchen, was helfen könnte.

Ich führe nun ein Leben, das ich vorher nicht kannte. Und ich habe mich noch kein bisschen daran gewöhnt zu akzeptieren, dass ich nicht mehr das tun und leisten kann, was ich bisher ohne Mühe und mit viel Freude und Engagement gemacht habe. Ganz langsam taste ich mich an ein paar Dinge heran, die ich gerne tue: Ich lade mir ab und zu jemanden für ein Kaffeestündchen ein, gehe für eine kurze Zeitspanne mit auf eine Feier, gehe täglich eine kleine Runde spazieren und vor allem habe ich nun wieder begonnen zu singen – früher eine Tätigkeit, die ich zur Freude und Entspannung machte, jetzt eine kräftezehrende Herausforderung, von der ich mich dann erholen muss. Aber die Freude und das Können sind zum Glück unverändert!

Ob mein Zustand sich bessern wird? Ob ich jemals wieder in mein „altes“ Leben zurückkann? Keiner weiß es. Ich versuche, das Beste aus meiner Situation zu machen, sie zu akzeptieren, aber manchmal ist es schwer, nicht zu verzweifeln.

Susanna

Berlin, September 2024