Regine

Brief an meinen Besucher

Hallo Besucher
verzeih mir, dass ich dich nicht mit „lieber Besucher“ anrede, denn der bist du nämlich wirklich nicht. Hast dich letztes Jahr, ohne mich zu fragen, einfach bei mir eingenistet. Dass du irgendwann vorbeikommen würdest war mir schon klar, aber es war geplant, dass du nach kurzer Zeit wieder gehst. Anscheinend fühlst du dich bei mir so wohl, dass du beschlossen hast länger zu bleiben. Warum, weiß ich nicht und hast du mir auch nie gesagt.

Leider gibt es einfach kein Mittel, dass dich wieder vertreibt.

Erst hab ich gedacht, dass ich dich dann halt eine Weile ertragen muss, mich ein paar Wochen auf dich einstellen muss und dann wirst du dich schon wieder verziehen. Aus den Wochen wurden allerdings Monate. Dann endlich hatte ich das Gefühl, es reicht dir. Du hast dich immer seltener blicken lassen, nur mal flüchtig hallo gesagt. Aber zwei Monate später bist du hier wieder rein gestürmt und hast mich mit Beschlag belegt. Seitdem habe ich das Gefühl, du willst mich gar nicht mehr loslassen.
Aber ich verstehe dich einfach nicht. Du zwingst mich immer wieder mit Gewalt mich auszuruhen. Das scheint dir so richtig zu gefallen, wenn ich mich total erschöpft und mit Schmerzen hinlegen muss. Wenn ich dann aber tagelang hauptsächlich im Bett oder auf dem Sofa liege, scheine ich dir doch zu langweilig zu sein. Sobald ich dann denke, du hast kein großes Interesse mehr an mir und mich daran mache Dinge zu tun, an denen du mich gehindert hast, bist du sofort wieder da.

An manchen Tagen hältst du dich wenigstens im Hintergrund, lässt mich zwar spüren, dass du da bist, aber trotzdem machen. Aber dann brauchst du wieder meine volle Aufmerksamkeit. Du bist echt anstrengend, weißt du das?

Was hab ich von deinem Besuch? Gar nichts! Ich hab mehr Zeit zum lesen, meine Konzentration hast du zum Glück noch nicht beeinträchtigt, aber das ist auch das einzig Gute. Dafür ist viel anderes liegen geblieben, was ich gerne gemacht hätte. Außerdem fühle ich mich durch dich immer mehr isoliert.

Deshalb bitte ich dich, lass mich endlich zufrieden.

Noch vor deiner Ankunft hatten wir eine größere Reise geplant, die in ein paar Wochen stattfinden soll. Bitte zieh bis dahin bei mir aus. Wenn ich dich bis dahin nicht loswerden sollte, dann halte dich wenigstens im Hintergrund, so dass ich dich nicht so sehr bemerke.

Keine Ahnung, wohin du ohne mich gehen sollst. Ich kann dir niemanden empfehlen, denn dich kann man ja niemandem zumuten.

Geh einfach und löse dich in Luft auf!

Deine „Gastwirtin“ Regine