An

Zäh fließen die Tage durch das Stundenglas des Lebens
Draußen färbt sich der Himmel blassrot und lila
Wieder ein neuer Tag
Lass es schnell Abend werden, vielleicht ist es morgen besser

So lange schon trage ich einen Mantel, der mir nicht passt
Steine eingenäht, so dass meine Schritte sich kaum vom Boden heben
So schwer, dass er mir die Luft nimmt
Alle Leichtigkeit verflogen, selbst beim Lachen stockt mir der Atem
Mein Herz tut weh, immer dieser Druck – mach dich nicht fertig, geh einfach noch langsamer
Der Stoff aus eisenbewehrten Stacheln, die mir die Tränen in die Augen treiben, wenn sie sich ins Fleisch graben
Die Taschen haben Löcher

Alles verschwindet. Erinnerungen, Gedanken, Schlüssel, Termine…

Die Kapuze liegt um meinen Kopf und lässt sich nicht abschütteln

Dieser Schleier vor Augen
Die Welt verliert an Schärfe
Die Schwere lässt kein Denken zu
Nur Fragmente, die ziellos durch den Kopf huschen

Hatte einen guten Abend, wir haben gelacht, geredet – seitdem liege ich im Bett
Das richtige Leben rächt sich

Ich muss kämpfen, ein anderer tut es nicht für mich
Ich muss neue Therapien ausprobieren
Ich muss aktiv sein

Auch wenn ich muss, mir geht die Kraft aus, auch das Geld

Einmal wieder ausschlafen und dann wach sein, ja, dann könnte es gehen

Ich lese gerne neues
Das war eine meiner Leidenschaften
Heute machen mir Erkenntnisse wie „Hirnalterung zwanzig Jahre früher, Mininekrosen im Myokard und der Muskulatur, Mikroclots, Energiedefizit, Mitochondriensterben, Ionenkanalstörung…“ Angst

Wir haben uns versprochen, nicht aufzugeben, D. – mein Sohn – und ich
Beide schleppen wir den Mantel
Unsere Liebsten leiden, uns so zu sehen
Und immer wieder fassen sie den Mantel, heben seinen Saum und tragen ihn mit, damit wir atmen können
Danke

 

02/2025