Mandy
Mandy ist am 01. 02. 2025 durch Sterbefasten verstorben. Sie war ein quicklebendiger, sehr kreativer Mensch. Daher sind ihre Lieder, und die Geschichten, die sie ihren Kindern gern erzählt hat, ein wichtiger Teil dieser Seite. Mandy teilt aber auch berührende Einsichten zu Leben und Tod.

Nachruf
“Bis gleich!”
So haben wir uns immer verabschiedet in Mandys letzten Lebenswochen. Sie hat das eingeführt, weil es (verständlicherweise) stressig für sie war, nach jeder Nachricht zu überlegen, ob sie jemanden nochmal hören würden oder sich eventuell gerade fürs ganze Leben verabschiedete.
Mandy hatte schwerst ME/CFS und noch einige andere Krankheiten, und wollte sterben. Wir haben uns in ihren letzten Monaten kennengelernt, und haben Sprachnachrichten ausgetauscht über das Leben und das Sterben. Mandy war bei ihrem Tod 47, ein quirliger, lebensfroher Mensch und Mutter von vier Kindern – das Loslassen ist ihr nicht leichtgefallen.
Gleichzeitig war da aber die Krankheit, mit viel zu vielen Schmerzen und Einschränkungen, um erträglich zu sein. Mandy war so gut wie blind und konnte sich nicht selbst versorgen. Ihre Familie – zum Teil mit eigenen Erkrankungen belastet, zum Teil natürlich auch mit der Versorgung der Kinder betraut – hat sich über alle Grenzen beansprucht, um ihr einen guten, umsorgten Abschied zu ermöglichen.
Mandy konnte nicht mehr.
Und sie hat das Dilemma beschrieben, das der Tod in so einem Alter und in ihrer Lebenssituation bedeutete. „Mit einem ME- und ADHS-Nervensystem ist friedliches Abschiednehmen überhaupt nicht denkbar.“ Immer wieder rasten Wellen von Gefühlen, aber auch Initiative, durch sie hindurch, und sie schrieb noch ein Gedicht, hatte noch eine Idee oder versuchte, noch ein klärendes Gespräch zu führen.
Sie hat in diesen letzten Monaten viel für sich herausgefunden und hatte Momente von übergeordneten Einsichten und tiefem Frieden, wofür ich sie sehr bewundere.
Und trotzdem: Ein friedvoller Abschied sieht anders aus. Über Monate hat sie sich um Sterbehilfe bemüht und erhielt keine klaren Reaktionen ihrer Anlaufstellen. Mandy schluckte zwischendurch eine Überdosis Tabletten, weil sie das als einzigen Weg sah – und wachte im Krankenhaus wieder auf.
Viermal, hat sie erzählt, hat sie sich von ihren Kindern verabschiedet. Ich kann und will mir nicht vorstellen, was das für ihre Familie bedeutet hat.
Und: Es ist nicht unbedingt so, dass jemand an irgendeiner Stelle die Dinge „einfach“ hätte bessermachen können. Die unklare rechtliche Situation zur Sterbehilfe, die Sprunghaftigkeit, mit der Many manche Entscheidungen traf, Verstrickungen in verschiedenen Beziehungen, die Unbekanntheit von ME/CFS bei medizinischen Einrichtungen und Behörden … Das alles wird eine Rolle gespielt haben.
Auf jeden Fall habe ich Mandy kennengelernt, als sie innerlich längst auf dem (Sterbe-)Weg war, auch wenn der Prozess des Sterbefastens erst Monate später begann. Unser Austausch hat mich so bereichert, weil Mandy neben einer Beziehung zu mir auch eine zu Silja hatte – meiner Schwester, die ich durch ME/CFS und assistierten Freitod begleitet habe. Sie hatte das Gefühl, uns beide durch mein Buch kennenzulernen, und ließ mich an ihrem gesamten Prozess des Lebenabschließens teilhaben.
Schritt für Schritt ordnete sie Dinge und Beziehungen, genoß noch, was sie konnte, und verabschiedete sich von allem, was nicht mehr ging. Intuitiv bewegte sie sich durch einen Meditationsraum, in dem sie zum Beispiel mit ihren Organen Kontakt aufnahm und zuletzt selbst das Herz, das immer noch schlagen und leben wollte, darum bat, es möge mit Rücksicht auf andere, kaputte Organe, seinen Lebenswillen loslassen. Es war, als ob dieser Prozesse ihr Unterbewusstsein (ihre Essenz? Ihre Seele?) auf Pfade führte, die es ihr erlaubten, Frieden zu machen und Schritt für Schritt aus dem Leben zu gehen. Sie strahlte Ruhe und Vertrauen aus, wenn sie davon berichtete.
Und das war natürlich längst nicht alles. In diesen letzten Monaten gab es nochmal alle möglichen Schwierigkeiten, sowohl im Praktischen (wo sollte sie wohnen, wo konnte sie versorgt werden?) als auch in Beziehungen zu allen wichtigen Menschen in ihrem Leben, als auch gesundheitlich. Vielfach war Mandy eben nicht friedvoll und ruhig. Sie musste Dinge allein machen, die sie eigentlich überforderten, es fehlten klare Ideen, wie alles gehen kann, der Versuch, ihr Leiden von den Kindern fernzuhalten, verlangte riesige Kräfte und Ärger mit Behörden gab es auch noch mittendrin.
Ich habe die Details oft nicht verstanden (Mandy hatte nicht die Kraft, viel zu kommunizieren, und da habe ich nicht nach Einzelheiten gefragt), aber ich glaube, dass sie alle Härten, die ME in der heutigen Gesellschaft mit sich bringen kann, reichlich leben musste.
Umso erleichterter bin ich, dass sie in einer Nachricht mal sagte, sie sei froh, dass der Suizidversuch vom Herbst nicht gelungen sei und sie so die Zeit habe, mit sich und ihrem Leben nochmal anders abzuschließen. Sie sagte, sie habe die völlig neue Perspektive, dass Tod nicht Aufgeben aus Leid sei, sondern dass sie psychisch in den Tod hineinheilen könne, dass der Abschiedsprozess heilsam sein könne, statt verzweifelt.
Sie nahm noch die Lieblingsgeschichten ihrer Kinder auf, die sie denen immer erzählt hatte, schrieb Lieder, die ein Freund vertonte, und verband sich viel mit Gedanken an das Positive, was sie mit Menschen geteilt hatte. Ihre Arbeit in Kindergärten und dem Draht zu kleinen Menschen. Der Musik, die sie gerade am Ende sehr geliebt hat, was sie auch mit ihrem Vater verband. Kreativität überhaupt. Und Liebe.
Ich habe, wie gesagt, nur Ausschnitte mitbekommen und bin sicher, dass sie nicht alles lösen konnte – aber sie hat es zumindest momentweise geschafft, friedlich und klar aus ihrem vollen, leidvollen, manchmal verwickelten und an vielen Stellen auch wunderbaren Leben zu gehen.
Mandy ist am 01. Februar 2025 nach vier Wochen Sterbefasten aus dem Leben gegangen – und sie hinterläßt neben tiefer Trauer auch Liebe, Kreativität und Inspiration, bei vielen Menschen.
Ich freue mich, dass ich einer davon bin.
Das war das Ende einer der Sprachnachrichten in unserem Austausch: “OK, ich kann nicht mehr reden heute. Ich gehe mal gucken, wo die liebe Silja so rumhängt” – ich weiß gar nicht, ob ich so eine Vorstellung von der Existenz meiner Schwester jetzt nach ihrem Tod habe. Aber die Idee, dass jemand anders sie so sieht, dass Du, Mandy, sie so siehst, macht mich sehr glücklich.
Ich hoffe, Ihr trefft Euch und habt Spaß miteinander. Bestell Ihr die liebsten Grüße.
Bis gleich!
ME/CFS-Verlauf
(Transskript eines Interviews mit Birte)
B: Ja. Willst Du vielleicht auch nochmal damit anfangen, mir zu erzählen, wie Du erkrankt bist und wann?
J: Ja, gerne. Relevante Ereignisse waren sicherlich, dass ich 2008 … ich glaube 2008, ne, 2007 diese Impfung bekommen hatte wegen Gebährmutterhalskrebs. Da hatte ich schon erste komische Symptome und Reaktionen. Dann hatte ich 2008 noch einen schweren Autounfall, bei dem ich mich ein paarmal überschlagen habe, also Thema “Halswirbelsäule/Schleudertrauma” und 2010 bin ich dann auch noch schlimm gestürtzt im Winter auf mein rechtes Steißbein, wonach sich auch anhaltende Beschwerden nicht gelegt haben, und mir wurde alle vier Weisheitszähne rabiat gezogen, also dann geht es ja auch wieder um Kopf/Kiefer.
Aber das Schlüsselereignis ist eigentlich, dass ich 2010 in Spanien im Urlaub war und da hat mich irgendwas in den Fuß gestochen und dann wurde der Fuß sofort ganz dick und rot, sogar das Bein, das war der rechte Fuß. Und mangels Verständigung da im Krankenhaus konnte man da nichts feststellen. Als ich zurückkam fing das an, dass ich ständig im Körper irgendwelche Entzündungen hatte, also ich hatte plötzlich eine Sehnenscheidenentzündung am rechten Arm und ich habe die dollsten Symptome entwickelt, also dass ich ständig eine Gastritis, die ist heute noch da, ich hatte eine schwere Mittelohrentzündung und bekam zweimal Antibiotika, und dann fing das an, dass ich so unter Symptomen gelitten habe wie Schwindel – richtiger Schwindel kann man nicht sagen, das war ein… ja, ein Ohnmachtsgefühl, das war erstmal so sekundenartig. Das war im März 2011. Das wurde aber immer schlimmer, und das war dann auch so, dass damit also Magen-Darm-Probleme, über, weiß ich nicht, permanente Übelkeit, Völlgefühl, Unverträglichkeiten, Durchfälle, … keine Ahnung Juckreiz, Sehschwierigkeiten, so Aura, wie bei Migräne, ja. Und dann halt auch innere Unruhe und so. Also ganz viele Symptome. Es gab immer mehr dabei und immer mehr dabei. Und mmh, das war so gleich, über ein Jahr.
Im Juni 2011 wurde mir dann noch tatsächlich Gebährmutterhalskrebs diagnostiziert und dann musste ich operiert werden, und dann war das so, dass ich kurz nach dieser OP einen Infekt hatte, und ab da an ist ME/CFS ausgebrochen, das weiß ich noch ganz genau, das war der 22. 07. 2011, da war ich nämlich Fahrer, ich war auf einem Konzert meiner Lieblingsband, ich stand da, und plötzlich ging das los. Ich habe immer gesagt, das war wie ein Blitz, der in mich eingeschlagen ist. Ich hatte plötzlich das Gefühl, die Kontrolle über den Körper zu verlieren, die Beine habe ich nicht mehr richtig gespürt, also die waren wie Pudding, dass da kein Gefühl mehr war, Druck im Kopf und permanenten Ohnmachtsgefühl, Atemprobleme, alles mögliche.
Das hielt mehrere Tage in dem Zustand an. Ich habe immer gesagt, das fühlt sich an, als hätte ich plötzlich eine Überdosis von irgendwas, oder irgendwas wurde meinem Körper entzogen, ich kann’s gar nicht richtig beschreiben. Und dann war das so, dass übrigbleibt, dass ich… seitdem die rechte Körperhälfte war wie tot, habe ich immer gesagt. Also, der Druck im Kopf ist seitdem immer geblieben, und dann halt das Instabilitätsgefühl im Hals und die dauerhafte Benommenheit, das ging alles nie wieder weg seit 2011. Und dann kamen natürlich noch Symptome dazu wie dauerhaftes Fiebergefühl, starkes Krankheitsgefühl. Mir war entweder zu heiß oder zu kalt, also die ganze Temperaturregelung hat nicht funktioniert.
Ich habe auch keine zusätzlichen Infekte mehr bekommen, im Gegenteil. Also, das war.. Und immer ein starkes Gefühl wie nicht mehr lebendig. Ich habe mich gefühlt, als ob ich jeden Moment sterbe, und es war halt… alle Reize immer zuviel, und Sprechen, und auch Atemnot, und die Unverträglichkeiten. Ich konnte das ja damals nicht einschätzen. Die Ärzte haben ja immer gesagt, das sei alles psychisch, aber… Das hat mir permanente Todesangst gemacht. Also, wenn ich irgendwas gegessen hab- bei Ananas war das zum Beispiel ganz schlimm. Ich habe das gegessen und direkt danach ging es los… also es war… ich kann das gar nicht beschreiben. Ich hatte Schüttelfrost, ich hab gedacht, es kam mir zu allen Löchern raus, ich hatte Durchfall, es hat mir die Atemwege zugeschnürt, es war als wäre der Körper komplett vergiftet, ja, so fühlt sich der Körper eigentlich an.
So fing das an, und dann habe ich zahlreiche Diagnosen, erst psychiatrisch, und dann kam das Thema Borreliose auf den Tisch, was auch gut sein kann, weil ich hatte 2010 auch noch eine Zecke. Ich wohne auf dem Dorf und bin leidenschaftlich gern Pilze und Brombeeren sammeln gegangen, also Zecken waren für mich nichts Unübliches, ich wusste nur nicht, dass die krank machen können, das war mir nicht klar.
Aber auch eine Behandlung darauf hat meinen Zustand sehr viel verschlechtert, also es hat nichts gebracht. Im Nachhinein, wo ich jetzt mehr weiß, denke ich, das war die falsche Vorgehensweise, weil mein Körper gar nicht stabil genug war um die ganzen… mit der Sauerstofftherapie, das weißt du vielleicht, mit dem Hyperoxy… also ich hatte künstliches Fieberbett und dies und das und der Körper war überhaupt nicht in der Lage, mit diesen Therapien irgendwie umzugehen, also… Genau, so war es ein Stochern.
Und irgendwann musste ich in eine Reha, das war 2012. Nachdem ich öfter in die Psychosomatik geschoben wurde, unter anderem auch in Mainz, und nachdem ich in der Reha und der Psychosomatik war… also das waren wirklich meine katastrophalsten Zustände, als ich da rauskam, weil da war Sportprogramm vom morgens um 6.15 bis abends um 18h. Und man durfte sich dem nicht entziehen, weil die haben immer gesagt, “Sie müssen alles selbst bezahlen…” und…
Genau, also danach war ich drei Jahre eigentlich komplett bettlägerig und habe gehofft, dass ich am Leben bleibe. Auf der anderen Seite habe ich aber auch gehofft, dass ich nicht am Leben bleibe, weil das unerträglich ist.
Bis ich dann letztendlich die Diagnose bekommen habe, hat es gedauert bis 2016, wo ich in der Charite war, als eine der letzten, die nicht aus dem Einzugsgebiet kommt.
B: Hast Du das noch geschafft?
J: Ja. Ja, aber zwischendurch war es so, dass ich schon wusste von dem Mastzellaktivierungssyndrom, weil ich einen Arzt in meinem Umfeld hatte, wo ich recherchiert hatte, der Kontakt hat nach Amerika zum Professor Theoharidis, der ist ja führend in den USA, was die Mastzellen angeht. Der hatte da einen ganz anderen Bezug zu ME/CFS und der ganzen Geschichte und der hat sofort gesagt “jaja, das hat damit zu tun”, er mich dann nach Bonn geschickt, dass war 2015, zum Professor Dr. Hertfelder, und der hatte mir dann schon das Mastzellaktivierungssyndrom diagnostiziert, und 2016 kam dann ME/CFS, und was ich halt auch wusste, von einem Orthopäden, war, dass ich unter Hypermobilität leide, und so kam ich dann noch irgendwann auf EDS. Ja,
B: Hat sich was geändert für Dich, als Du diese Diagnosen hattest?
J: Ja, es hatte sich eigentlich ziemlich viel geändert, weil ich dann… Das war so, dass ein Arzt mir geraten hatte, dass ich doch versuchen sollte, wenn möglich ein sehr detailliertes Symptomtagebuch zu führen. Das habe ich auch gemacht, also, und das hat mir sehr viel geholfen, meinen Energiehaushalt besser einschätzen zu können und auch Trigger, sowohl… egal in welcher Richtung… sei es jetzt Gerüche, sei es irgendwelche Nahrung. Ich hatte so eine Rotationsdiät, wo ich wirklich nur ein/zwei Lebensmittel, wo ich wusste, ich vertrage die, gegessen habe über eine Zeit, und dann immer wieder was zugeführt habe. Und ja, so konnte ich sehr viel rausfinden über mich selber und konnte sehr viel… ich sage es mal so… Stabilität in das Ganze bringen als dass ich meinem Körper nicht ganz so ausgeliefert war, indem ich auf diese Sachen achten konnte. Und… das hat mir schon zu mehr Lebensqualität verholfen, und das hielt so an bis 2022 als ich geimpft wurde. Und dann ging es schon wieder los mit noch viel anderen Symptomen, und nachdem ich dann noch Corona hatte, wurde es wieder ganz, ganz schlimm. Und dann war es ja so, dass mir im März, nachdem ich schwere Taschen getragen hab und irgendwie so eine komische Bewegung gemacht habe mit meinem Kopf, die Muskulatur abgerissen ist am Kopf, und das hat bis heute noch kein Mediziner so gesehen, gehört und wie auch immer. Das hat natürlich nicht dazu geführt, dass man mich mehr ernstgenommen hat als mit ME/CFS.
B: Ne, ganz bestimmt nicht, ne? Wie hast Du das versucht, den Ärzten zu beschreiben überhaupt? Ich wüsste gar nicht…
J: Also das war so, ich kann es Dir genau beschreiben, dass ich gemerkt habe, einfach… Also mein Kopf hing schief, das sah der erste Arzt auch direkt, das steht auch im Bericht, “muskulärer Schiefhals”, aber ich habe gesagt “da ist was abgerissen, ich merke, dass das irgendwie nicht mehr… dass da was wie nach hinten runtergefallen ist. Muss man sich wirklich so vorstellen. Und ja, dass der Kopf dann nicht mehr richtig auf dem Körper sitzt.” Das haben mir auch mehrere Physiotherapeuten bestätigt, und am Ende auch der Radiologe. Der hat es dann so erklärt, dass tatsächlich, weil der Muskel ja am Hinterhaupt ansetzt, ja, dass der nach hinten runtergefallen ist und der Kopf quasi nach oben aufgesprungen ist. Das ist wie ein Hosenknopf, ne, wenn Du den aufmachst, fällt das Hosenstück zur Seite weg und ja… Weil es ja nicht mehr entsprechend verbunden ist.
Er hat auch gesagt, dass da jetzt ein Loch ist, wo der Muskel war, und auch das habe ich gesagt, dass ich das spüre, und da war er natürlich “das ist nur in Ihrem Kopf. Das gibt es nicht. Sowas haben wir noch nie gehört.” Und ich wurde unglaublich schlimm behandelt.
B: Ja, Wahnsinn, ne? Ich find auch, man fühlt das so genau eigentlich, die müssten nur zuhören.
J: Korrekt.
B: Und das macht wahrscheinlich auch Schmerzen die ganze Zeit, oder?
J: Ja, das macht nicht nur Schmerzen, sondern meine ganze Körpersymmetrie, meine ganze Körperachse stimmt nicht mehr, weil das alles aus dem Lot geraten ist. Und weil die das halt nicht ernstgenommen haben und zu spät erkannt und mich falsch behandelt haben, ist das… Das ist noch schlimmer, als das ME/CFS, Birte. Weil mein ganzer Körper innerlich zerreißt, also die ganze Muskulaturaufhängung stimmt nicht mehr. Sogar mein Gesäßmuskel zerreißt, wenn ich den Kopf nach vorne beuge, reiße ich Gesäßmuskulatur mit ab.
B: Wie krass. Ich mache ja Körperarbeit, d.h. ich bin echt eingefuchst, und wenn irgendwas asymmetrisch ist, oder man mal ne komische Bewegung gemacht hat, das belegt ja so viel Aufmerksamkeit. Also ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, was da alles ist und wie anstrengend das sein muss, das zu fühlen.
J: Das ist unerträglich. Das geht… das kann man auch keinem erklären, das kann sich auch niemand vorstellen, der das nicht hat. Aber… Und das halte ich jetzt aus seit eindreiviertel Jahren und ich habe gesagt, das wird immer schlimmer.
Ich war sogar in einer orthopädischen Klinik zwei Wochen und das Einzige was man… Also es war so, normalerweise, man wird aufgenommen am ersten Tag und am zweiten Tag geht man ins MRT, egal wie viele Befunde man hat. Und bei der Frau Justen, also bei mir was das so “die Frau Justen mit den komischen Beschwerden”. Man hat mich nicht weiter untersucht. Man ist überhaupt auf nichts von all dem eingegangen und hat mir weismachen wollen: “Wenn Ihnen was abgerissen wäre, das würden wir fühlen.”
B: Mann ey, das macht ja echt wütend, ne?.
J: Das kannst Du glauben.
B: Das kann ich fühlen, also in dem Sinne, dass es mich auch wütend macht. Aber… ja. Es gibt so viele solche Geschichten. Da müssen wir einen Weg finden, mit denen laut zu sein. Die zu erzählen, diese Geschichten.
J: Ich weiß. Absolut, genau.
B: Hast Du irgendwann mit diesen Antibiotika zu tun gehabt, die auch irgendwie das Bindegewebe kaputtmachen? Diese… wie heißen die…
J: Fluorchinolone?
B: Ja, die. Frage ich mich gerade, ob das auch damit zu tun hat.
J: Habe ich mich auch schon gefragt, und leider… ich weiß nicht mehr welches Antibiotikum ich da 2011 für die Gastritis und die Mittelohrentzündung, als diese total heftigen Symptome angefangen haben, bekommen habe. Ich habe das versucht bei der Krankenkasse aber es ist schon zu lange her, die haben die Daten nicht mehr. Und ich weiß auch nicht mehr. Das Problem war, ich habe damals im Hotel gearbeitet, und das war sonntags morgens mit den Ohrenschmerzen, ich war da beim ärztlichen Notdienst, also keine Ahnung, welcher Arzt mir das verschrieben hat.
B: Das stimmt. Und das kann ja auch ne Antibiotikagabe von irgendwann sein. Ich denke auch manchmal so, was man da als Kind bekommen hat, bei irgendwelchen Schmerzen…
J: Das kommt noch dazu. Das kann ich leider nicht mehr nachvollziehen.
B: Dann hast Du ja eine so eine Palette von Dingen, dass ich es verständlich finde, dass Du das nicht aushalten kannst.
J: Ne. Und es gibt dafür auch keine Lösung, gibt es einfach nicht.
Zumal man mich ja gar nicht mehr ernstgenommen hat, sondern nur noch in die Psychiatrie gefahren hat. Selbst als man festgestellt hat, dass der Gesäßmuskel nicht in Ordnung ist, und der Halsmuskel abgerissen und ich auch noch einen Rückenmarksschaden habe – das kommt auch noch dazu – selbst da sagt man immer noch “psychisch”. Ich jetzt kürzlich erst habe ich einen Orthopäden getroffen, der sich mit EDS auskennt, und der war entsetzt und erschüttert.
Ihr Leben vor ME/CFS
(Transskript eines Interviews mit Birte)
Hast Du viel erlebt in Deinen 35 Jahren eigentlich?
J: Naja, ich bin krank geworden, da war ich Anfang 20. Also…
B: Das heißt, Du hattest noch eine Kindheit und Jugend mit mehr Freiheit, und dann nicht mehr.
J: Genau, das hatte ich noch. Ja, meine Kindheit und Jugend war schön, die würde ich nicht missen wollen. Ich bin in einem Dorf groß geworden mit vielen anderen Kindern, wir waren bestimmt gute 20 in meinem Alter, die meisten nur Jungs. Deswegen hatte ich auch eher so viele Hobbies, die ich mit Jungs teilen konnte. Also, ich war nicht das typische Mädchen, das mit Barbies oder so gespielt hat. Ich war immer mit den Jungs.
B: Bäume geklettert und so?
J: Ja, genau. Bäume geklettert, Staus gebaut, im Matsch gespielt, Fußball gespielt, Kart gefahren. Ich bin in einem Motorradclub aufgewachsen, und natürlich haben dann alle mit 16 den 125-er Führerschein gemacht, das habe ich dann auch gemacht. Ich liebte auch das Motorradfahren. Und, genau. Und wir haben eine Firma mit LKWs, also auch meine Familie, auch da habe ich mich immer gut aufgehoben gefühlt, also. Ich habe zwei Brüder, einer ist älter, einer jünger, und mit denen habe ich mich immer gut verstanden. Von daher … Ja, ich hätte gern LKW-Führerschein gemacht, wenn es mir möglich gewesen wäre.
B: Echt, dann wärst Du gern durch die Landschaft gefahren, mit so nem LKW, stundenlang?
J: Genau.
B: Du bist mitgefahren wahrschein früher auch, oder?
J: Genau. Mit meinem Papa öfter, ja.
Und … naja … Ansonsten … hatten viele Freunde einen Bauernhof, deren Eltern. Und dann sind wir halt oft, wenn die Kühe abends gemolken wurden in den Stall, haben zugeguckt, haben dann frische warme Milch getrunken, und sind mit denen zur Erntezeit mit den großen Traktoren dann immer mitgeholt worden, und das war natürlich immer das Größte.
B: Das habe ich auch gemacht als Kind! Ich glaube, bei uns waren die Traktoren noch kleiner, ich bin ja einen Tacken älter … Ja.
J: Cool.
B: Ja, das macht Spaß, ne?
Ich weiß auch gar nicht warum. Wenn ich das heute so sehe, denke ich, “ist doch öde”, aber ich fand das auch total toll.
J: Ja, als Kind war das toll.
Und auch mit Tieren war ich halt auch immer. Also, wir hatten eine immer eine Katze, als Kind hatte ich ein Häschen.
Und ansonsten war das so, dass ich halt wirklich viel … also wir hatten eine große Clique und das war wirklich immer so, dass ich eigentlich immer unterwegs war. Und auf Parties gerne die letzte, aber nie so, dass ich irgendwie sturzbesoffen oder so – das nicht. Ich war immer so die, die die Hand über alle gehalten hat und geguckt hat “Wir bleiben alle zusammen, jeder kommt heil nach Hause.” Ein bisschen so. Und ich war auch immer… ich hab gern auch immer große Parties gemacht. Also an meinem 18., da waren knapp 100 Leute da. Also, ich hatte sehr viele Bekanntschaften, unterschiedliche Cliquen und ja ….
B: Wow, da warst Du ja echt beliebt.
J: Ja, also schon. Es ist… ich war gern unter vielen Menschen und sozial engagiert, und das hat mir immer am meisten Spaß gemacht. Und auch Fastnacht, ich bin ein absoluter Jeck. Ich habe gern auf der Bühne gesessen und mich zum Deppen gemacht, dass alle über mich gelacht haben und so… also Humor wird bei mir großgeschrieben. Lachen hat mich durch’s Leben getragen in allen schweren Zeiten.
B: Ja, wie schön. Ich finde auch, das hilft irgendwie, egal wann und egal wo. Egal wie absurd es wird.
J: Ja, genau.
Ich bin bevor ich krank war, leidenschaftlich gern Schwimmen gegangen. Am liebsten habe ich Urlaub gemacht, in den Bergen, im Allgäu. Da war ich immer gerne wandern und da waren wir schon, seitdem ich denken kann, immer hingefahren mit meiner Familie und …
B: Klasse. Dann bist Du wahrscheinlich in Bergseen geschwommen da auch?
J: Auch, ja. Im Alpsee, das war immer total toll.
Irgendwann als ich älter wurde, da habe ich dann noch meine Leidenschaft zum Backen und zum Kochen entdeckt, also damit habe ich mich auch sehr viel beschäftigt, auch mit Ernährung. Das hat mich auch immer viel fasziniert.
Und Freunde … Ich konnte sogar mit meinem Lieblingssalat die schlimmsten Erzfeinde von Salat, also die Jungs, überzeugen, dass sie Salat essen, sodass sie mich danach nach dem Rezept gefragt haben.
Also, ich muss dazusagen, dass wir hatten drei Jahre eine Fußballmannschaft und da habe ich dann auch immer gern Kuchen gebacken und hinter der Theke bedient und die Jungs versorgt und geholfen.
Ich war so gern… also organisieren. Wenn irgendwas zu Organisieren war, sei es ne Party, sei es ein Geschenk für irgendwen, also gebastelt habe ich auch gern.
B: Ach, klasse. Schön, da hast Du ja echt viel Freude ins Leben der Leute gebracht.
J: Auf jeden Fall, ja.
Rede an den Bundestag
(Transskript eines Audios)
22. Dezember 2024
A.: Wenn Du vor einem Jahr die Chance gehabt hättest, Dich vor den Bundestag zu stellen und fünf oder sechs Forderungen zu stellen, was wäre das gewesen?
J.: Das wäre in erster Linie gewesen, dass man Patienten nicht abstempeln darf, nur weil die Forschung noch nicht soweit ist. Also, dass man jemanden ernstnehmen muss.
Und zweitens, dass ME/CFS gesehen und gehört werden muss, genauso wie EDS, und dass es für die Ärzte verpflichtend sein sollte, wenn neue Erkrankungen bekannt werden, dass sie davon zumindest gehört haben müssen.
Und dann das vierte ist, dass man Patienten wie mich nicht durch alle sozialen Raster durchfallen lässt und diskriminiert und auch noch Vorwürfe macht und so darstellt als sei man selbst schuld an seiner Lage.
Und das fünfte ist in Bezug auf die Sterbehilfe, dass diese Prozesse wesentlich erleichtert werden müssen, denn ich finde es nicht gut, dass man erst nach Aktenlage beurteilt und dann entscheidet, den Patienten zu sehen, denn es ist einfach ein Unterschied, wenn man jemandem gegenübersitzt und seine Mimik, Gestik, sein Leiden und sein … sieht.
Und das sechste ist, dass ich mir wünsche, dass die Gesellschaft allgemein, bei der Politik angefangen und übertragen auf den Rest, für das Thema “Sterben” und “schwere Krankheit” einfach sensibler werden muss und dass das Thema kein Tabuthema bleibt, weil Betroffene darunter zusätzlich noch schwer leiden. Vor allem, wenn Angehörige dann auch noch so reagieren und… Das darf nicht sein. Das ist unmenschlich. Das tut man Tieren auch nicht an. Tiere erlöst man, weil man mit ihnen fühlt. Und bei Menschen soll das nicht gelten. Wieso? Das ist für mich eine Kontroverse, die nicht existieren darf.
Botschaft zum Leben
(Transskript eines Interviews mit Birte)
B: Und sag mal, wenn Du so guckst jetzt… Hast Du… Wenn ich jetzt gerade denke, Du hast so viel Freude ins Leben der Menschen gebracht. Hast Du einen Wunsch, was Du hinterlässt, oder wie die Menschen Dich sehen sollen?
J: Ja, also weißt Du, das ist so dass mich eigentlich bis zu dem Zeitpunkt, der letztes Jahr eingetreten ist, nie meine Positivität verlassen hat, nie. Und das denke ich, das habe ich auch ausgestrahlt. Und ich weiß also, dass… Also, ich hatte 2015 eine Umschulung begonnen zur Industriekauffrau in einem Berufsförderungswerk und da kommen viele Menschen zusammen, die aus unterschiedlichen Gründen ihren Job nicht mehr ausführen können oder oder oder. Da waren aber auch viele Menschen mit gesundheitlichem Hintergrund, aber auch Menschen, die drogenabhängig waren oder so und,
Da habe ich halt oft gehört, dass ich für sie eine Inspiration und ein Vorbild war, trotz aller Probleme positiv zu sein und das Leben… also das Positive zu sehen und zu genießen und anzunehmen und schätzen zu können und halt trotzdem noch so viel zu geben. Und ich finde, es ist halt wichtig… mir ist die Gesellschaft.. oder ich habe oft den Eindruck, dass Menschen, die vom Leben noch nicht so geprägt sind, einfach sehr egoistisch sind, und das finde ich nicht gut.
Also, ich finde, man sollte wieder dankbarer sein, man sollte wieder viel mehr die Menschlichkeiten wertschätzen und mehr Aufmerksamkeit demjenigen geben und wertschätzen, was es bedeutet, dass man morgens einfach aufstehen kann und sich nen Kaffee machen kann und sich an seinen Lieblingsplatz setzen kann, so.
B: Ja, total.
J: Die einfachsten Dinge. Ja, meine Erkrankung hat mich dahingehend viel gelehrt. Also… sicherlich habe ich das Leben, und die Momente, wo ich genießen konnte, viel intensiver erlebt, als bevor ich erkrankt war.
Und ich finde, es ist wichtig, auch… dass ich mich selbst besser kennenlernen konnte, verstehst Du? Also meine eigenen Bedürfnisse verstehen, wahrzunehmen, zu äußern und auch dadurch mehr Lebensqualität zu erreichen und meine eigenen Grenzen wahrzunehmen und einzuhalten und… Ja, man lebt nicht nur für die Arbeit und für andere, das ist… Ein gesundes Selbst… das wünsche ich einfach jedem so. Und… einfach nochmal… das ganze Materialistische und dieser Luxus, das braucht eigentlich kein Mensch zum Überleben, sondern das eigentlich Wichtige ist doch Geborgenheit und dass man Menschen hat, bei denen man sich wohlfühlt, denen man vertrauen kann und mit denen man einfach sein kann, Einfach sein, ohne viel Drumherum.
J: Ja. Also diese Menschlichkeiten.
B: Ja, die zählen wirklich.
Über ihre Freitodentscheidung
(Transskript eines Interviews mit Birte)
J: Und… hm, ich weiß nicht, ob Deine Schwester den Gedanken noch äußern konnte oder mal geäußert hat, aber sicherlich hätte sie ohne diese Erkrankung auch weitergelebt, gern weitergelebt.
B: Ja, total. Meine Schwester hat noch zwei Monate vor ihrem Tod gesagt “Weißt Du, wenn ich einen guten Tag habe, dann denke ich schon wieder ich müßte jetzt mal Konzertkarten kaufen”. Ich muss mir aber realistisch eingestehen, dass das nicht passieren wird.
J: Ja, genau. Das, diese Ambivalenz, das ist bei mir auch so. Ich denke natürlich, das ist zu früh, ich will eigentlich nicht gehen, aber ich habe … unter den Umständen, was jetzt mit mir passiert, überhaupt gar keine Wahl mehr, und es war auch vorher schon nicht mehr wirklich Leben. Es hatte eigentlich nicht viel mit Leben zu tun. Man muss immer, durch dieses PEM, immer mit Konsequenzen rechnen, egal, was man macht. Ob man was Schönes macht, ob man sich freut … Es ist …
B: Das kenne ich ja. Du wirst ja bestraft, auch für gute Sachen. Und das ist so anders als bei anderen Krankheiten, wo man sagt “Mach was Schönes, das baut Dich dann auch psychisch auf, und das hilft Dir dann auch körperlich.” Das greift alles nicht bei ME/CFS.
J: Ganz genau, und das kann keiner nachvollziehen.
B: Ja, das ist schwierig, ne? Ich habe auch ne Zeit gebraucht, so wirklich, und ich glaube, auch als Betroffener… meine Schwester hat auch eine Zeit gebraucht, um das zu verstehen.
J: Logisch, ich ja auch.
Und das sind einfach diese Gründe, was ich auch einfach nicht mehr will. Damit kann man nicht leben. Das macht alles zunichte, was das Leben ausmacht in meinen Augen, für mich.
B: Ja, das glaube ich. Und das sind ja zwei Sachen, in der Theorie das Leben zu lieben und in der Praxis ein erträgliches Leben zu haben.
J: Genau. Und da spielt leider das Alter keine Rolle.
Artikel im Bonner Generalanzeiger
Eine Zeit vor Jessicas Tod erschien dieser Artikel über sie im Bonner Generalanzeiger.
Schlusswort
(Transskript eines Interviews mit Birte)
Ich weiß nicht, wieso Gott mir diesen schweren Weg auferlegt, und diesen dann noch so schwer für mich beendet, mit solch einer Symptomatik, aber was ich nie wollte, war, dass andere Menschen unter mir leiden. Und was ich mir wünsche ist, dass alle Hinterbliebenen annehmen können, dass dieser Weg für mich, jetzt aus dem Leben treten zu dürfen, mit jemandem an meiner Seite, der mich wohlwollend begleitet, die beste Entscheidung war und ich glücklich bin, wenn es so weit ist und ich dann nicht mehr kämpfen muss, wie die letzten 14 Jahre, weil ich es auch müde bin, zu kämpfen. Ich kann einfach nicht mehr. Ich hab das so oft gesagt, und es ist mein Ernst. Ich wünsche mir nur, dass Ihr das annehmt, und wenn Ihr das annehmt, dann wird es Euch hoffentlich leichter fallen, darin für mich das Positive zu sehen und… dass Ihr besser damit leben könnt.